KEIN ENDE IN SICHT
10 JAHRE DIESELGATE – 5 JAHRE STRAFRECHTSPROZESS
Armin Sieber, veröffentlicht 23.9.2025
10 Jahre Dieselgate – 5 Jahre Strafprozess. In diesen Tagen gibt es ein doppeltes Jubiläum – aber keinen Grund zum Feiern. Die Aufdeckung des Abgasskandals wurde am 18. September 2015 durch eine Notice of Violation der US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) angestoßen. Fünf Jahre später, am 30. September 2020 beginnt der erste Strafrechtsprozess in Deutschland – am Landgericht München. Was ist von der rechtlichen Aufarbeitung des größten deutschen Wirtschaftsskandals geblieben? Ein persönlicher Blick zurück.

Niemand bleibt von dieser Szenerie unberührt: Der erste „Dieselgate-Prozess“ auf deutschem Boden findet ausgerechnet in Stadelheim statt – auf dem Gelände der JVA München. Schon der erste Eindruck ist beklemmend: hohe Betonmauern, Wachtürme, Scheinwerfer, schwer bewaffnetes Sicherheitspersonal.
Dabei kennt man diesen Ort in München – nicht nur wegen der Zeile aus dem bekannten „Schickeria“-Song („und morn sitz ma in Stadelheim, aber hauptsach mir san in“). Stadelheim ist längst ein traditionsreicher Ort der Justizgeschichte: NSU, Dieselgate, Wirecard. Einschüchternder kann man die Staatsmacht kaum inszenieren. Und so mancher Manager, der unter den Mauern der JVA hindurch zum Gerichtsschauplatz schritt, mag gedacht haben: Hoffentlich komme ich hier wieder heraus.
Schlangen vor dem Gerichtssaal
Der erste Prozesstag gleicht einem Spektakel: Endlose Schlangen warten entlang der Gefängnismauern auf den Einlass. Manche stehen die ganze Nacht dort. Wer es sich leisten kann, schickt Statisten mit Schlafsack, Tee und Gebäck in die Reihe – Hauptsache, einen der begehrten Plätze im Gerichtssaal sichern. Es ist empfindlich kalt an diesem letzten Septembermorgen. Ich war dabei.
Dann fahren verdunkelte Limousinen vor und bringen die Top-Manager zum Hintereingang. Pressefotografen rennen aufgeregt hin und her. Das erste Bild muss her – und mit ihm das erste Urteil in der öffentlichen Wahrnehmung.
Die journalistische Aufregung der ersten Prozesstage weicht einer öden Routine. Tagelang, jahrelang verfolgt die Öffentlichkeit den Prozess. Meist sitzen die wenigen Beobachter vor weitgehend verwaisten Besucherrängen. Es ist eine kleine, fast schon verschworene Gruppe von Journalisten, die dranbleibt. Was bleibt nach fünf Jahren Dieselgate-Strafprozess, nachdem die Öffentlichkeit so früh und so intensiv mitgemischt hat?
Effizienz der Justiz
Die juristische Aufarbeitung zieht sich über Jahre, Revisionen laufen, Folgeprozesse warten teils immer noch darauf, eröffnet zu werden. Ein Ende ist nicht in Sicht. Für Juristen mag das nachvollziehbar sein – für die Öffentlichkeit wirkt es wie ein endloses Drama in Fortsetzung. Jeder Prozesstag bringt neue Schlagzeilen, jeder Zeugenauftritt neue Kommentare. Aber nach drei Jahren und fast 180 Prozesstagen scheint am Münchner Landgericht kaum einer der Beobachter noch durchzublicken. Wie soll man auch nach hunderten Zeugenaussagen – zu denen es weder Protokolle noch Bildaufnahmen gibt. Die Kammer gewinnt ihre Überzeugung aus dem „Inbegriff der Hauptverhandlung“, was immer das bedeuten mag. Am Ende zählt nicht nur, was im Urteil steht, sondern auch, dass das Verfahren selbst Vertrauen kostet: Vertrauen in Tempo, Klarheit und Handlungsfähigkeit des Rechtsstaats, so schreiben es die Medien.
Standort unter Druck
Deutschland zeigt sich gründlich, aber langsam. Während in den USA Verfahren oft schneller abgeschlossen werden – mit klaren, wenn auch harten Ergebnissen – verharrt hier alles im Schwebezustand. Die Bilder von Stadelheim gehen um die Welt und prägen das Bild eines Landes, das seine eigene Industrie öffentlich zerlegt. Für einen Wirtschaftsstandort, der auf Vertrauen, Verlässlichkeit und Innovationskraft setzt, ist das ein fatales Signal.
Dilemma der Manager
Manager geraten früh ins Kreuzfeuer: Bevor ein Gericht urteilt, haben Medien und Öffentlichkeit längst ihre eigenen Urteile gefällt. Im Alltag müssen sie zwischen widersprüchlichen Pflichten entscheiden: Transparenz gegenüber Behörden und Öffentlichkeit auf der einen Seite, Treuepflicht gegenüber Aufsichtsrat und Aktionären auf der anderen. Handeln sie zu früh, riskieren sie Untreue; handeln sie zu spät, droht der Vorwurf des Betrugs. Dieses Dilemma ist nicht theoretisch – es prägt Karrieren, Unternehmenskultur und am Ende auch die Risikobereitschaft ganzer Branchen.
Fazit – viel Lärm
Vor zehn Jahre wurde der Dieselgate-Skandal bekannt und vor fünf Jahren begann der Strafprozess. Viele Fragen sind nach wie vor offen, die vielgerühmte „Smoking Gun“ wurde auch hier nicht gefunden. Die Justiz zeigt sich gründlich, aber auch nicht makellos. Liest man das Urteil der Weltpresse, ist das noch euphemistisch formuliert. Im Detail sollen das die Experten des Strafprozessrechts bewerten – und die Historiker. Letztendlich bringt die Kammer das Urteil nur mit dem letzten Mittel des Deals einigermaßen sicher zustande. Wird das halten? Eine Fragen für das BGH.
Aber all das kostet auch Vertrauen. Der Standort Deutschland präsentiert sich der Welt als selbstblockiert, während andere Rechtsordnungen schneller Klarheit schaffen. Und die betroffenen Manager? Sie geraten in ein Dilemma, das sie kaum lösen können, weil sie immer zwischen Vorwurf und Vorverurteilung gefangen sind – und zwar quälend lange. Vom Drama der U-Haft über Deals und Urteile bis zu Revisionen und Haftungsklagen.
Die eigentliche Lehre ist für mich klar: Prozesse dieser Art dürfen nicht nur juristisch geführt werden. Sie brauchen professionelle Begleitung, Erläuterung, Einordnung – strategisch, kommunikativ, mit langem Atem. Denn neben dem Verfahren im Gerichtssaal läuft immer auch der Prozess in der Öffentlichkeit. Wer ihn ignoriert, verliert – ganz gleich, wie das Urteil lautet. Am Ende geht es nicht nur um Schuld oder Unschuld – sondern um Vertrauen.
Sieber Advisors unterstützt Unternehmen und Einzelpersonen dabei, ihre Krisenkommunikation und ihre Litigation-PR so aufzustellen, dass sie dauerhaft ihre Reputation schützen und Prozessziele erfolgreich erreichen können.
Dieselgate – Meilensteine
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18. September 2015 – US-Umweltbehörde EPA veröffentlicht Manipulationsvorwürfe gegen VW-Diesel.
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September 2015 – VW räumt Abgasmanipulation ein; VW-Chef Martin Winterkorn tritt zurück.
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2016/2017 – Milliarden-Vergleiche in den USA: VW zahlt über 20 Mrd. Dollar.
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2017 – Erste Ermittlungen in Deutschland, Anklagen gegen mehrere VW- und Audi-Manager.
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2018 – Festnahme von Audi-Chef Rupert Stadler; Untersuchungshaft in Stadelheim.
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28. Februar 2020: 250.000 Dieselkunden werden mit der „Musterfeststellungsklage“ entschädigt, VW muss rund 770 Mio. Euro zahlen
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30. September 2020 – Beginn des Audi-Strafprozesses in München.
- 3. September 2024: Strafprozess gegen Winterkorn beginnt
- 26. Mai 2025: Strafprozess gegen die vier Manager endet mit 2 Haft- und 2 Bewährungssstrafen
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27. Juni 2023 – Urteil im Audi-Prozess: Ex-CEO Ruperte Stadler und andere Manager erhalten Bewährungsstrafen
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2023/2024 – Revisionen laufen, Folgeprozesse gegen weitere Ex-Manager stehen an.
- Juli 2025 – Verfahren gegen Winterkorn wird eingestellt, er gilt als verhandlungsunfähig
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2025 – Zehn Jahre nach Aufdeckung, fünf Jahre nach Prozessbeginn in München: Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen.