ADIEU LIEBLINGSGEGNER
– ZUM TOD VON ANDREAS TILP
Ein Nachruf von Dr. Michael Zoller, erschienen am 9.6.2021
Der Streit um das Recht ist eine Herausforderung, an der sich die Besten abarbeiten. Andreas Tilp gehörte dazu. Das Interview mit ihm über Sammelklagen ist einer der am meisten gelesenen Beiträge in diesem Blog. Einer der ihn gut kannte, war sein Münchner Kollege Michael Zoller. Als führende Anwälte im Kapitalmarktrecht haben die beiden im Gerichtssaal oft die Klingen gekreuzt. Hier ist sein Nachruf auf Tilp.
Er war jederzeit präsent, dynamisch und unverwechselbar. Gleichgültig, ob bei privaten Anlässen, oder bei beruflichen Aufeinandertreffen in den Gerichtssälen Deutschlands. Er kannte sämtliche Tricks der zivilprozessualen Haftung bei Kapitalanlagen. Er war in der Lage, „aus der Hand“ seitenlange, präzise KapMuG-Anträge zu Protokoll eines Landrichters zu diktieren, sonor und in leicht schwäbisch angehauchter Diktion. Er benannte den im Gerichtssaal zufällig anwesenden Justiziar einer Großbank unter präziser Namensnennung als präsenten Zeugen dafür, den eigentlichen Hauptzeugen vor dessen Einvernahme manipuliert zu haben. Wenn er einmal – was selten vorkam – mit seinem Latein am Ende war, bat er kollegial den Vorsitzenden, dessen vorläufige Rechtsauffassung zusammenzufassen, um sodann mit aller verbalen Macht dagegenzuhalten.
Er war der Erfinder des Prototyps eines Kapitalanlegeranwalts, wie Beckenbauer der Erfinder des Liberos: Souverän, unübertroffen, aber immer fair.
Er liebte die großen Spiele. Im Dezember 2006 erlangte er erstmals Berühmtheit, als er den „Kick-Back-Joker“ erfand: Der BGH gab ihm gegen sämtliche Tatsacheninstanzen Recht. Besondere Energie legte er in dieses Verfahren, da die Angelegenheit auf seinem Schreibtisch verjährt war. Seitdem ist der Kick-Back-Joker aus dem Werkzeugkasten eines jeden Anlegeranwalts nicht mehr wegzudenken und Tilp ein synonym für „Bankenschreck“ geworden.
Im Herbst 2014 der dritte Börsengang der Telekom: Wie groß war seine Freude und Erleichterung, als ihn der scheidende Vorsitzende des XI. Zivilsenats Nobbe anlässlich einer Bank- und Kapitalmarkttagung auf die Seite nahm und ihm mitteilte, dass der BGH wohl auf einen Prospektfehler im Börsenprospekt der Telekom erkennen würde. Er selbst hatte sich zunächst auf andere Textstellen konzentriert, aber am Ende doch das große Ganze gewonnen.
Zu diesem Zeitpunkt vertrat er längst nicht mehr nur Kleinsparer, sondern auch den institutionellen Investor, auch aus den USA. Mr. K-Furt war über den großen Teich gegangen.
Tilp war auch der erste, welcher im jüngsten Wirtschaftskrimi im Mai letzten Jahres eine Schadensersatzklage zu Gericht brachte, noch bevor das Dax-Unternehmen Insolvenzantrag stellte. Seine Frage, wo ich denn die vielen tausend Klagen hinhaben möchte, die er gedenkt, einzureichen, blieb leider unbeantwortet; zu schnell und unerwartet kam sein Unfalltod.
Adieu Lieblingsgegner, wir werden Dich vermissen!
Dr. Michael Zoller ist Partner der Anwaltskanzlei Wirsing Hass Zoller in München. Er ist Fachanwalt für Steuerrecht und gilt als einer der führenden Anwälte im Bereich Banken- und Kapitalmarktrecht. Sein Buch „Die Haftung bei Kapitalanlagen ist bei C.H. Beck in der 4. Auflage erschienen und gilt inzwischen als Standardwerk.