DIE YOUTUBISIERUNG DER LITIGATION-PR
Die Litigation-PR im Mordfall Dan Markel setzt in den USA Maßstäbe
Dr. Rainer Ohler
Ein Jahrzehnt ist seit dem tragischen Mord an Dan Markel vergangen. Der renommierte amerikanische Juraprofessor wird in seiner eigenen Garage erschossen – mutmaßlich im Auftrag von Familienmitgliedern. Der Fall löste gewaltiges Aufsehen aus – und das Interesse hat bis heute nur wenig nachgelassen. Dafür sorgt auch eine breit angelegte Litigation-PR-Kampagne. Die rechtliche Aufarbeitung dauert noch an: In diesem Jahr beginnt ein neuer Prozess gegen eine Mittäterin. Interessant ist der Fall aber noch aus einer anderem Grund: Die ungewöhnliche Litigation-PR-Kampagne, mit der Familie und Unterstützer versuchen, das Interesse an dem Fall hoch zu halten – auch nach einem Jahrzehnt.
Im Markel-Fall ist es zu einer jahrelangen Fall-Coverage auf Youtube gekommen, die sicher auch auf die strategische Nutzung von YouTube durch die Familie und Unterstützer Markels zurückgeht. Es ging und geht der Initiative „Justice for Dan“ um Aufmerksamkeit für schleppende Verfahren, ausbleibende Anklagen und Ungerechtigkeiten zum Nachteil der Kinder und Eltern des Opfers. Wie kaum jemals zuvor beleuchtet der Fall die – zumindest in Amerika – weiter stark zunehmende Bedeutung digitaler Plattformen auch für die Kommunikation bei komplexen Rechtsfällen. In den USA dürfte Litigation-PR mit neuen Tools neu erfunden worden sein.
Ich hörte erstmals von dem Fall 2016 auf einer Dienstreise nach Florida. Seither verfolge ich den Fall und seine kommunikative Wirkung auf die öffentliche Meinung und die juristische Aufarbeitung. Der renommierte, aus Kanada stammende Juraprofessor Dan Markel (41) wurde im Juli 2014 vor seinem Haus in Florida erschossen. Zwei Jahre später wurde Anklage gegen den Todesschützen und seinen Begleiter („Latin Kings“) erhoben. Der geständige Todesschütze wurde zum Kronzeugen und bekam eine hohe, aber nicht lebenslängliche Freiheitsstrafe. Sein Begleiter und die Anstifterin kamen erst 2019 vor Gericht. Die Anstifterin war zur Tatzeit die Freundin des Bruders Charlie der Ex-Frau von Dan Markel, Wendi Adelson. Als vermuteter Auftragsmord einer bekannten jüdischen Zahnarztfamilie aus Miami war der Fall von Anfang an eine komplexe Mischung aus persönlichem Drama und juristischer Odyssee.
Litigation-PR 2.0: YouTube als innovativer Kanal
Schon bald nach dem Mord waren Familie und Freunde des Opfers überzeugt, dass Auftraggeber des Mordes die Familie Adelson war. Aber auch im fünften Jahr wurde gegen die Familie keine Anklage erhoben. Vielmehr hatten die Adelsons den kanadischen Eltern des Mordopfers jeden Kontakt zu den Enkelkindern untersagt und den Familiennamen der Kinder in Adelson geändert. Jetzt engagierten sich Freunde von Dan Markel auf YouTube Kanälen, die sich dem Fall widmeten und immer wieder die Frage stellten, wann es endlich zu einer Anklage kommen würde. Immer mehr Videos entstanden, die sich detailliert mit dem Fall befassten. Und schließlich tat sich was: Nach einer zweijährigen Kampagne änderte das Parlament von Florida 2022 das Umgangsrecht von Großeltern mit Kindern in Florida („Markel Act“) und der Bruder der Ex-Frau kam in Haft. Inzwischen erzielten die Videos hundertausendfache Aufrufe und hielten den Fall im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Diese Strategie verstärkte den Druck auf Ermittler, Justizbehörden und das Landesparlament erheblich. Heute sind ein Mittäter (2019), die Anstifterin (2022) und der Bruder der Ex-Frau (2023) verurteilt und hinter Gittern.
Im digitalen Zeitalter nimmt YouTube in Amerika jetzt erkennbar eine zentrale Rolle in der Nachrichtenverbreitung und im öffentlichen Diskurs ein, eine Entwicklung, die in der deutschen Litigation-PR noch kaum Beachtung findet. In diesem Fall sind es vor allem Kanäle wie „STS Surviving the Survivors“. „Carl Steinbeck“ und „Mentor Lawyer“, die mit tiefgehenden Analysen und differenzierten Debatten zu Rechtsfällen weltweit teils weit über 100.000 Abonnenten gewonnen haben. Diese Kanäle nutzen vielfältige Formate, von Experteninterviews bis hin zu interaktiven Diskussionen, um komplexe juristische Themen zugänglich zu machen und eine engagierte Community aufzubauen. Eine Reihe weiterer Kanäle greift den Fall immer wieder auf, oft aber eher mit Blick auf psychologische Aspekte der Verfahren oder auch einfach als Infotainment-Programm („Little Lies and Alibis“, „Roberta Glass“).
True Crime Deutschland
„True Crime“ hat Konjunktur – auch in Deutschland, und nicht erst seit der digitalen Revolution. Die Anfänge gehen zurück bis in die 70er Jahre und bedienten zunächst ein Nischen- aber auch ein öffentliches Fahndungsinteresse mit der legendären ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“. Heute sind es vor allem Podcasts wie „Verbrechen von heute“ von der Süddeutschen Zeitung, „Mordlust“ von Podimo, „True Crime Germany“ sowie Crime-Podcasts des STERN, die das Genre beleben. Parallel dazu hat YouTube mit Kanälen wie „True Crime“ von STRG_F – einen NDR-Ableger – oder „True Crime Germany“ eine Plattform geschaffen, die das Genre einem breiten Publikum zugänglich macht. Das Interesse an der dunklen Faszination realer Kriminalfälle wächst. Unter dem Titel „Der verhasste Schwiegersohn: Dan Markel“ erschien in der Reihe „Mordlausch“ auf Antenne Bayern am 25. November 2022 sogar ein Podcast zum Mordfall Markel.
Trotz des Booms von True Crime bleibt das Potenzial dieser Bewegung für die Litigation-PR in Deutschland noch weitgehend ungenutzt. Litigation-PR, die darauf abzielt, im Rahmen eines Rechtsstreits die öffentliche Meinung zu beeinflussen, könnte aber auch hierzulande durch die Einbindung in True-Crime-Formate eine neue Dimension erreichen. Podcasts für Interviews mit Experten, Zeugen oder Angehörigen, YouTube-Kanäle für Dokumentationen über spezifische Fälle, Social Media für die Verbreitung von Fallinformationen und Updates sowie Websites zur Bereitstellung von Hintergrundmaterial und relevanten Dokumenten, könnten die Reichweite der Litigation-PR erheblich erhöhen. Die Tools bieten die Möglichkeit, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, wie es mit traditionellen Medien allein nicht möglich wäre.
Die Youtubisierung der Litigation-PR
Für Fachleute im Bereich der Kommunikation und für Anwälte zeigt sich hier ein Instrument, das zum amerikanischen Rechtssystem sicher gut passt. Denn im amerikanischen Strafprozess ringen zwei Parteien um den Sieg (bei einer Jury von Geschworenen). Dagegen muss die deutsche Justiz in jedem Fall zugunsten und zulasten eines Beschuldigten ermitteln und kein Leiter einer Staatsanwaltschaft muss für eine Wiederwahl auf eine Verurteilungsbilanz verweisen. Das schafft hierzulande sicher eine andere Situation.
True-Crime Kanäle, die konkrete, laufenden Fälle verfolgen, haben wir in Deutschland deshalb noch nicht. Trotzdem könnte die Bedeutung von YouTube für strategische Kommunikationsmaßnahmen in Rechtsangelegenheiten steigen. Direkt und ohne Filter mit einem interessierten Publikum kommunizieren zu können, ist in jedem Fall eine Versuchung. Denn die (ver-)öffentlichte Meinung wirkt in den Köpfen und ist damit im Gerichtssaal immer präsent.
Welche Perspektiven für das kommunikative Management komplexer Rechtsfälle gibt es konkret? In jedem Fall erweitert sich die Toolbox der Litigation-PR. Wir müssen in Zukunft juristische Inhalte nicht nur informativ, sondern auch ansprechend und zugänglich aufbereiten. Das ist im deutlich langsameren, detaillierteren und weniger als Gladiatorenkampf ausgestalteten deutschen Strafprozess – und mehr noch im Zivilprozess – eine große Herausforderung. Zweifel sind angebracht, ob in Deutschland die „Youtubisierung“ der Litigation-PR einen Boom erleben wird, wie er in Amerika unverkennbar ist.
Die Veränderung in der juristischen Kommunikation wird aber sicher demnächst probiert werden, auch angesichts des wachsenden Misstrauens gegenüber traditionellen Medien und der Suche nach alternativen Informationsquellen. Dabei sollen die Risiken nicht verschwiegen werden: Datenschutz und Persönlichkeitsrechte sind zu bedenken. Die Gefahr der vorschnellen öffentlichen Vorverurteilung erfordert eine sorgsame und verantwortungsvolle Handhabung. Zudem lieben es deutsche Richter in der Regel gar nicht, wenn sie aus der Medien erfahren, wie sie urteilen sollen.
Der Fall Dan Markel wird in diesem Jahr aufgrund von Prozessen gegen die Schwiegermutter und die Ex-Frau wieder medial aufgekocht werden. Das erinnert uns daran, dass wir die Macht solcher Plattformen mit Umsicht und Respekt vor den Betroffenen einsetzen müssen. Denn es geht nicht nur um Aufmerksamkeit und Meinung, es geht auch um Gerechtigkeit in einem fairen und ausgewogenen Verfahren.
Quellen zum Fall Dan Markel
- Wikipedia-Artikel zu Dan Markel: https://en.wikipedia.org/wiki/Dan_Markel
- Kampagnen-Website der Unterstützer von Dan Markel: Home | Justice for Dan
Youtube Kanäle zum Thema True Crime in den USA
- STS: Surviving The Survivor: #BestGuests in True Crime – YouTube
- Carl Steinbeck: Carl Steinbeck – YouTube
- Crime Weekly (mit Beiträgen über Markel): The Maestro (Part 6) (youtube.com)
- Dateline NBC (mit Beiträgen über Markel):Dateline Episode Trailer: Family Matters | Dateline NBC (youtube.com)
- Law & Crime Network (mit Beiträgen über Markel):(2) Law&Crime Network – YouTube
- Court TV (mit Beiträgen über Markel): Charlie Adelson Tells His Story of Dan Markel’s Murder (youtube.com)