Litigation-PR in schwarz-braun:
Der Fall Vossgerau wird zum Aufregerthema in der PR-Szene
So hatte sich das der Jurist und CDU-Politiker Ulrich Vosgerau nicht vorgestellt. Als er am 25. November 2023 zum Treffen in Potsdam anreist, weiß er vermutlich, dass er hier das Who-is-Who des deutschen Rechtsextremismus treffen wird: Vertreter von AfD, Werteunion und Identitärer Bewegung stehen auf der Einladungsliste. Er weiß vermutlich auch, dass es heute um die sogenannten Re-Migrations-Frage gehen wird – einem Lieblingsthema der europäischen Rechtsextremen. Was er nicht weiß: Es sitzt ein Undercover-Journalist des Recherchezentrums Correctiv direkt an der Quelle. Und der deckt den Gegenstand der Unterredung schonungslos auf: Hier sei es um die Feinabstimmung eines Plans für die zwangsweise Abschiebung von Millionen Menschen gegangen, die derzeit in Deutschland leben, auch solche mit deutscher Staatsangehörigkeit. Schnell ist in den Medien von Plänen zur Vertreibung die Rede.
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Ein Geruch von Wannsee-Konferenz liegt in der Luft – mittendrin der Staatsrechtler Vosgerau. Doch der wehrt sich und zettelt einen Rechtsstreit gegen Correctiv an, die ihn angeblich zu Unrecht skandalisiert und falsch zitiert haben. Sein Verteidiger: Rechtsanwalt Carsten Brennecke von der Kanzlei Höcker. Dieser stellt sich nicht nur vor Gericht, sondern auch in den sozialen Medien wortgewandt vor seinen Mandanten und löst eine gewaltige Debatte über LitigationPR aus. Im PR-Magazin führte ich ein Streitgespräch mit Carsten Brennecke über Sinn und Unsinn solcher Kampagnen. Hier meine fünf wichtigsten Erkenntnisse.
1. Ist das noch Litigation-PR?
Selbstverständlich. Litigation-PR ist das Schachspiel im Gerichtssaal der öffentlichen Meinung, wo jede Bewegung strategisch geplant wird, um nicht nur zu verteidigen, sondern auch anzugreifen. Litigation-PR umfasst strategische Kommunikationsaktivitäten vor, während und nach einem Rechtsstreit, um die öffentliche Wahrnehmung zu beeinflussen. Die offensive Variante zielt darauf ab, aktiv die Debatte zu gestalten und die Gegenseite unter Druck zu setzen. Selbstverständlich haben wir es hier mit einer Form der offensiven Litigation-PR zu tun – auch wenn Kollegen das als Warfare bezeichnet haben.
2. War die Kampagne erfolgreich?
Ja, aber mit einem bitteren Beigeschmack. Brenneckes Taktik war offensichtlich erfolgreich. Seine Strategie beruhte darauf, Zweifel an der Richtigkeit und Intention des Correctiv-Berichts zu säen. Besonders im AfD-Umfeld verstärkte das den Eindruck, Medien und Rechtsstaat seien parteiisch. Dabei standen die eigentlichen Aussagen der Berichterstattung von Correctiv nie zur Diskussion und wurden auch nicht vom Gericht kritisiert. Aber das hat in dieser Zielgruppe irgendwann niemand mehr interessiert, wie etwa der Bericht in der „Jungen Freiheit“ zeigt.
3. Wieso ist die Kampagne so umstritten?
Brennecke wurde insbesondere von Anwaltskollegen wie Christian Solmecke oder Chan-Jo Jun vorgeworfen, er habe hier Grenzen überschritten. Er habe den Eindruck erweckt, dass die Recherche-Arbeit von Correctiv in wesentlichen Punkten unrichtig und handwerklich nicht sauber gewesen sei. Dabei standen die Kernaussagen der Berichterstattung gar nicht zur Debatte. Brennecke habe einen „Strohmann“ angegriffen, um das Ganze zu diskreditieren. Kritisiert wurden auch die dramatische Veröffentlichung eidesstattlicher Erklärungen, die den Kern der Klage aber gar nicht betrafen.
5. Wo liegen die Grenzen bei solchen Kampagnen?
Die Grenzen sind dort, wo Litigation-PR das System als Ganzes angreifen. Wenn man einen Diskurs unterstützt, der glauben lässt, dass Medien gekauft und unglaubwürdig sind, sägt man am eigenen Ast auf dem man sitzt. Sicher werden im Mediensystem Fehler gemacht. Sicher muss man sich mit aktivistischem Journalismus kritisch auseinandersetzen. Aber auch Juristen machen Fehler. Wenn aggressive Kommunikationsformen aus taktischen Gründen die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats oder die Glaubwürdigkeit des pluralistischen Mediensystems als Ganzes in Frage stellen, dann ist Gefahr im Verzug. Kritik ist erlaubt und nötig. Vertrauen in das Gesamtsystem ist aber ein hohes Gut und so wichtig wie die Gesundheit für einen Organismus. Das setzt man nicht leichtfertig aufs Spiel.