SLAPP IN THE FACE
SLAPP-Klagen: Braucht der Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit eine weitere EU-Richtlinie?
von Steffen Fritzsche
Am 30. März 2023 veranstalteten Sieber Advisors und die ZHAW School of Management and Law eine Diskussionsrunde zum Thema Ethik in der Litigation-PR. Dabei ging es um sogenannte „SLAPP“-Klagen, deren Ziel es ist, kritische Meinungsäußerungen in den Medien zu unterbinden. Incite-Speaker waren Dr. Flutura Kusari, Expertin für europäisches Medienrecht und Leiterin der Anti-SLAPP-Arbeit der Coalition Against SLAPPs in Europe (CASE) und Dr. Rainer Ohler, Managing Partner von Sieber Advisors. Eine hochkarätige Teilnehmerrunde aus Kommunikationsprofis und Top-Anwälten diskutierte über Chancen und Grenzen einer EU-Gesetzesinitiative gegen SLAPP-Klagen.
Es geht um strategische Gerichtsverfahren gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit, sogenannte „SLAPPs“ (Strategic Legal Action against Public Participation), die in der Regel von mächtigen Einzelpersonen und Unternehmen angestrengt werden, um kritische Meinungsäußerungen zu behindern. Sie sind oft rechtlich unbegründet oder übertrieben und dienen primär dem Zweck, Journalisten, Aktivisten und Medienunternehmen einzuschüchtern und von weiteren Veröffentlichungen abzuhalten. In den vergangenen Jahren gab es einen deutlichen Anstieg des Einsatzes von SLAPPs gegen Journalisten in Malta, Ungarn, Polen, Serbien, Albanien, der Türkei und anderen Ländern.
Für Dr. Flutura Kusari ist der 16. Oktober 2017 ein Schlüsselereignis. An diesem Tag verlor Daphne Caruana Galizia, eine maltesische Journalistin und Bloggerin, durch eine Autobombe ihr Leben. Galizia war für ihre investigative Arbeit bekannt und dafür, kontroverse und heikle Informationen offenzulegen. Sie hatte regelmäßig über Korruption, Geldwäsche und andere illegale Geschäfte in Malta berichtet. Zum Zeitpunkt ihrer Ermordung waren gegen die Journalistin über vierzig Verleumdungsklagen anhängig mit dem Ziel, sie zum Schweigen zu bringen.
Die EU schlägt zurück
Nach dem Attentat verstärkte CASE – die von NGOs getragene Coalition against SLAPPs in Europe – ihr Lobbying, auf EU-Ebene legislativ gegen SLAPP-Klagen vorzugehen. Daraus entstand der Entwurf einer EU-Richtlinie, die 2022 von der Europäischen Kommission eingebracht wurde. Danach sollen Gerichte offensichtlich unbegründete Gerichtsverfahren frühzeitig abweisen können. In solchen Fällen soll die Beweislast beim Kläger liegen – dieser muss nachweisen, dass sein Anliegen nicht rechtsmissbräuchlich ist. Wenn ein Fall als missbräuchlich abgewiesen wird, so der Vorschlag der Kommission, soll der Kläger alle Kosten tragen, auch die Anwaltskosten des Beklagten. Zudem sollen Kläger sanktioniert werden können, die immer wieder solche Fälle vor Gericht bringen. Nur auf diese Weise könne – so Kusari – ein so wichtiges Gut wie die Pressefreiheit gegen ihre Feinde in jedem EU-Land verteidigt werden.
Grenze zwischen Rechtsmissbrauch und legitimer Rechtsverfolgung
Die Antithese dazu vertrat der zweite Incite-Speaker des Abends, Dr. Rainer Ohler. Dieser sieht die Gefahr, dass Interessensgruppen und Aktivisten die Institutionen einmal mehr vor ihren eigenen Karren spannen und die Grenzen von Recht und Moral verwischen wollen. Ohler zufolge würde die EU-Richtlinie, die von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden müsste, weder eine Instrumentalisierung der Justiz im Meinungskampf verhindern noch praktikabel sein, da sie ein Verfahrensmonster mit vielen kleinteiligen Regelungen schaffe. Stattdessen solle man die Justiz empowern, mit dem Problem des Missbrauchs der Institution und ihrer Prozesse besser fertig zu werden, indem Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden oder das Gericht einschreiten kann, sobald es eine SLAPP-Konstellation erkennt.
Außerdem könne das Gericht beim Vorliegen einiger Anhaltspunkte für eine SLAPP-Klage dazu verpflichtet werden – so sein Vorschlag – den Sachverhalt und die Namen der Beteiligten zu veröffentlichen. Dann werde nämlich eine SLAPP-Klage schnell zu einer Reputationsgefahr für den Kläger, die ihn selbst an den Medien-Pranger bringen kann. Statt die Rechtsausübung durch weitere Gesetze zu begrenzen, sei eine Stärkung von Justiz und Zivilgesellschaft hier das probate Mittel. Ohler brachte es auf die griffige Formel: „Wir brauchen weniger Regulierung und dafür mehr Litigation-PR“.
In den anschließenden Breakouts wurde das Für und Wider einer rechtlichen Begrenzung von SLAPP-Klagen leidenschaftlich diskutiert. Ist ein Rechtsstreit ein wirksames Mittel zur Eindämmung eines Reputationsschadens? Lässt sich der finanzielle und moralische Reputationsschaden von rechtlich gerechtfertigten SLAPP-Klagen überhaupt abschätzen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Litigation-PR Curricula und welche Inhalte sollten zunächst über Forschungsprojekte aufgearbeitet werden?
Mit diesen Einblicken in die Berufspraxis ging der offizielle Teil des Abends zu Ende. Beim anschließenden Get-together wurden die vielen Aspekte in Einzelgesprächen weiter vertieft – ein exklusiver Abend mit intensiven Einblicken.