STREIT UMS KLIMA
HUMAN RIGHTS LITIGATION UND CLIMATE CHANGE LITIGATION WERDEN ZUR HERAUSFORDERUNG FÜR ANWÄLTE UND LITIGATION-PR
Gespräch mit Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Klindt, Noerr, erschienen am 21.6.2021
Am 26. Mai 2021 fällte das Bezirksgericht Den Haag ein Urteil gegen Royal Dutch Shell, das allgemein als historisch bezeichnet wird: Zum ersten Mal wird ein multinationaler Konzern für seinen Beitrag zum Klimawandel verantwortlich gemacht. Das Gericht hat dabei deutlich gemacht, dass ein menschenrechtsbasierter Ansatz zur Beurteilung solcher Fragen eine herausragende Rolle spielt. Internationales Recht und insbesondere Human Rights Litigation werden zunehmend zu einer Herausforderung für Juristen. Der Erklärungsbedarf in der Öffentlichkeit steigt. Über die Entwicklung sprach ich mit Rechtsanwalt Thomas Klindt.
Herr Klindt, lieber Tom, Du hast in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, dass ein menschenrechtsbasierter Ansatz bei der Beurteilung von internationalen Rechtsstreitigkeiten an Bedeutung gewinnt, und dass darin eine gewaltige Herausforderung auch für die Kommunikationsarbeit stecke. Woran machst Du das fest?
Mir ist das kommunikative Problem gerade wieder im Zusammenhang mit dem Shell-Urteil aufgefallen. Bei diesem und bei ähnlichen Climate-Litigation-Fällen hat man immer vergleichbare Herausforderungen: Wer sich auch nur annähernd auf die Seite der Beklagten stellt, läuft ernste Gefahr, in das Kreuzfeuer hochmoralisierender Kritik zu geraten. Der Shitstorm im Netz kann laut und hässlich werden. Dabei sind die rechtlichen Sachverhalte, um die es in derartigen Verfahren geht, äußerst komplex, keinesfalls eindeutig und meist hochgradig erklärungsbedürftig. Ähnliche Entwicklungen sehe ich auch bei kommenden Rechtsstreitigkeiten rund um das gerade verabschiedete Lieferkettengesetz: Bei dessen Anwendung wird man sich aufgrund der integrierten Menschrechtskomponente ebenfalls mit komplexen Problemen auseinandersetzen müssen.
Climate Change Litigation und Human Rights Litigation etwa im Rahmen des Lieferkettenrechts werden „auf der Zeile“ nach ganz vielen internationalen, völkerrechtlichen Vorschriften abgerechnet. Außer den klassischen Völkerrechtlern an den universitären Hochstühlen ist da von den Juristen aber niemand so recht firm. Das wird juristisch und damit auch kommunikativ also eine echte Herausforderung.
Wo liegt die Besonderheit? Das Problem einer moralischen Aufladung der öffentlichen Meinung kennen wir doch in der Litigation-PR. Wer Manager vertritt, dem ist bewusst, dass er nicht automatisch auf der Seite der „Guten“ steht. Auch bei umweltrechtlichen Auseinandersetzungen macht man sich in der Öffentlichkeit nicht immer beliebt: Wenn man vor Genehmigung eines Bauprojekts alle dort lebenden Feuersalamander eingesammelt und in eine extra angekaufte Ausgleichsfläche umgesiedelt hat, dann ist es trotzdem in der Öffentlichkeit nicht immer leicht zu erklären, warum ein Bau nicht gestoppt werden kann, wenn ein weiterer Feuersalamander gesichtet wird.
Klar. Aber im Bereich der Climate-Change-Litigation und Human-Rights-Litigation liegen die Dinge ungleich komplizierter, weil hier internationales Völkerrecht zur Anwendung kommt. Wenn man ein großes Unternehmen berät, das sein Gewerbegebiet ausweiten will und dafür eine Ausnahmegenehmigung in einem Naturschutzgebiet braucht, dann versteht jeder in der Regel, was Naturschutz und was eine Gebäudeerweiterung ist. Wenn du dich jetzt aber verstärkt in völkerrechtlichen Abkommen bewegen musst, dann wird das juristisch deutlich anspruchsvoller. Dazu werden wir uns rechtlich sehr tief in die Materie einarbeiten müssen, was konkrete Regelungsvorgaben und just auch konkrete Ausnahmen anbelangt, und wir werden das der Öffentlichkeit völlig neu erklären müssen.
Worin liegt denn das Problem des Shell-Urteils?
Durch ein Urteil eines Gerichts in Den Haag ist Shell seit Kurzem dazu verpflichtet, den Ausstoß von CO2 bis 2030 um netto 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu senken. Einige Umweltorganisationen sowie mehr als 17.000 Bürgerinnen und Bürger hatten den Konzern verklagt. Die Verpflichtung zum Klimaschutz gelte, so das Urteil, sowohl für die eigenen Unternehmen als auch für Zulieferer und Endabnehmer. Das wird gerade von vielen als großer Schritt für das Umweltvölkerrecht und die unternehmerische Menschenrechtsbindung gefeiert.
Vorbehaltlich dessen, was en detail in der Urteilsbegründung steht (die ich noch nicht kenne), überzeugt mich das, was ich bisher darüber gelesen habe, strukturell nicht: Wenn ein Hersteller von Mineralöl gerichtlich verpflichtet wird, dazu beizutragen, dass weniger CO2 emittiert wird, weil die Autos, die damit fahren, dann CO2 emittieren, erscheint das nur auf den ersten Blick plausibel. Aber eigentlich handelt es sich dabei um eine pure Pseudokausalität. Shell ist ja nur einer von unzählig vielen in einer Korrelationskette. Um Dein Beispiel mit den Feuersalamandern aufzugreifen: Da hast Du nicht nur Korrelationen, sondern echte Kausalitäten bis hin ins Georäumliche. Wir Juristen beurteilen eine Kausalität in der Regel wertend, also nicht nur aufgrund einer logischen Äquivalenz, sondern vielmehr auch einer zuzurechnenden Adäquanz. Ansonsten drohen reine Korrelationen uferlos zu werden. Und dieser Adäquanz-Zusammenhang fehlt mir hier: Ist denn auch der Scheibenwischer-Hersteller mit verantwortlich? Er ermöglicht schließlich, dass das Fahrzeug auch bei Regen CO2 emittieren kann. Kann man ihn also auch daran beteiligen, die Emissionen zu reduzieren? Das Beispiel erscheint nur wenig weit hergeholt; es zeigt logisch, dass es hier eine nachjustierende Wertung geben muss.
Darüber hinaus sehe ich auch ganz pragmatische Probleme. Wenn man einen Mineralölproduzenten dazu verpflichtet, 45% seiner Produktion zu reduzieren oder kostenmäßig zu belasten, dann wird das ja nicht dazu führen, dass die Autofahrer weniger tanken. Die bedienen sich dann einfach bei anderen Tankstellen. Insofern sind diese zivilrechtlichen Ansprüche gegen einzelne juristische Entitäten in Fairness und Gleichbehandlung jeder vernünftigen staatlichen Regulierung hoffnungslos unterlegen.
Ich sehe den Punkt. Das wird kein Spass, das der Öffentlichkeit zu erklären. Das Argument erscheint dem allgemeinen Menschenverstand nach plausibel, ist aber juristisch höchst wahrscheinlich angreifbar. So etwas stellt immer eine Herausforderung für die Litigation-PR dar. Worum geht es beim Lieferkettengesetz?
Auch beim Lieferkettengesetz geht es im Kern darum, dass aus menschenrechtlichen Schutzpflichten und umweltvölkerrechtlichen Standards eine konkrete Sorgfaltspflicht für deutsche Unternehmen abgeleitet wird. Im Kern geht es darum, dass man Unternehmen ab einer bestimmten Größe dazu zwingt, Menschenrechtsverletzungen im Ausland möglichst unmöglich zu machen. Das könnte zum Beispiel durch ein Monitoring der gesamten Lieferkette ablaufen. Es betrifft dann nicht nur den direkten Lieferanten, sondern auch alle weit in der Lieferkette vorgelagerten Unternehmen. Außerdem werden in dem neuen Lieferketten-Gesetz eine Reihe von aufwendigen Regelungen angeordnet, wie man in Erfahrung bringt, dass der vierte, fünfte oder sechste Vorlieferant Menschenrechtsverletzungen oder umweltrechtliche Verstöße begeht.
Das Lieferkettengesetz geht davon aus, dass die bisher bestehenden Selbstverpflichtungen, die es ja bei vielen Unternehmen bereits gibt, nicht ausreichen. Das mag so in der Gesetzesbegründung stehen, ist aber rechtstatsächlich nicht belegt. Das Gesetz halte ich insgesamt für fragwürdig: Ein äußerst kritischer Punkt des neuen Gesetzes ist die Regelung zur Prozessstandschaft. Sie ermöglicht es beispielsweise einer NGO, die Interessen von Geschädigten aus Bolivien hier vor deutschen Gerichten einzuklagen. Darüber hinaus wird es absehbar ohnehin eine europäische Richtlinienregelung dieser Thematik geben. Dabei ist nach derzeitigem Diskussionsstand auch eine zivilrechtliche Haftung vorgesehen, was im deutschen Gesetz noch ausdrücklich ausgeschlossen ist. Nach NGO-Vorstellung wird das als wesentlicher Hebel gesehen, den Geschädigten zu ermöglichen, die Unternehmen auch haftungsrechtlich in die Pflicht zu nehmen. Wenn eines Tages deutsche Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen ihrer ausländischen mittelbaren Zulieferer nach deutschem Recht verklagt werden könnten, werden wir im Gefolge sofort Organhaftungsstreitigkeiten (und D&O-Prozesse) sehen – eine große Herausforderung für Litigation-PR. Auch ökonomisch und staatsrechtlich ist das alles höchst bedenklich: Die Wettbewerbsfähigkeit wird nachhaltig darunter leiden, weil die Unternehmen gezwungen werden, genuine Aufgaben des Staates zu übernehmen, die er selbst nicht durchzusetzen vermag.
Grundsätzlich kennen wir Probleme aus der internationalen Litigation PR. Wir haben es in unserer Praxis mehrfach etwa mit Fragen zu tun gehabt, wie sie in den abweichenden Rechtsräumen Deutschland, Österreich und Schweiz vorkommen. Wenn unsere Mandanten im Rechtsstreit mit „fremdem Rechtsgut“, mit einer anderen Rechtslogik oder Rechtsordnung konfrontiert werden, so ist das immer erklärungsbedürftig. Woran kann man das Problem noch festmachen?
Unsere Unternehmen sind doch alle cross-border aktiv. Das heisst, dass sie eben nicht nur mit deutschem Recht, sondern auch mit anderen Rechtsinstituten konfrontiert werden. Das ist zunächst einmal nichts Schlimmes. Andere Rechtsordnungen sind weder schlechter noch besser – sie sind einfach anders und damit erklärungsbedürftig. Für die Kommunikation ergeben sich daraus aber eine Reihe von besonderen Herausforderungen.
Zum einen sieht man die Einflüsse einer ausländischen Rechtsordnung auf unsere Mandanten in Deutschland …
… zum Beispiel im Falle der Klage hier in München (die wir kommunikativ begleitet haben) der österreichischen Hypo Alpe Adria Bank gegen die Bayern LB. Da ging es um bestimmte Aspekte des österreichischen Eigenkapitalersatz-Gesetzes (EKEG), zu denen es in unserem Recht keine Parallelen gibt….
… genau – ein schönes Beispiel. Die Richterin musste damals nach österreichischem Recht in München urteilen, obwohl sie kraft ihrer Ausbildung darin gar nicht kompetent sein konnte. Das ist übrigens kein Vorwurf – ich wäre es auch nicht. Jede Richterin, jeder Richter muss sich in so einer Situation das nötige Wissen erst einmal über ein gerichtlich beauftragtes Rechtsgutachten zugänglich machen. Auf dieser Grundlage werden dann Milliarden-Klagen entschieden und natürlich haben solche großen Rechtsstreitigkeiten auch großen Einfluss auf Kommunikation und Reputation der beteiligten Unternehmen. Da muss man in der Öffentlichkeit und Politik sehr genau und feinfühlig erklären, worum es juristisch geht.
Zum anderen gibt es natürlich auch den umgekehrten Fall, dass Dein deutscher Mandant im Ausland in eine Litigation verwickelt wird, über die dann hier berichtet wird. Ich muss in der Kommunikation also erklären, was dem Mandanten im Ausland passiert, und warum. Im US-Rechtsraum führt man Pre-Trial-Discoveries durch. So etwas sieht das deutsche Zivilprozessrecht seit 1877 nicht vor. Nun haben deutsche Kanzleien beispielsweise versucht, durch Discovery-Verfahren in den USA gegen deutsche OEM an Informationen über ingenieurtechnische Details zu gelangen, die sie dann im weiteren Fortgang hier verwenden können. Jetzt muss man einer deutschen Öffentlichkeit erklären, warum Unternehmen in den USA komplett die Hosen herunterlassen müssen, während sie hier anders agieren.
Worin liegt denn jetzt bei den Climate-Litigation- und Human-Rights-Litigation-Fällen das Neue für die Litigation-PR?
Zunächst einmal werden solche Fälle zu einem Schlachtfest für die NGOs, die sich ja sowieso immer auf der Seite der Guten wähnen. NGOs sind aber in der Regel Tendenzbetriebe. Die können sich oft gar nicht vorstellen, dass es bei der 360 Grad-Betrachtung eines Problems noch ganz andere Dinge zu berücksichtigen gibt als alleinig eine Verwirklichung der Menschenrechtsinteressen vor Ort. Und das in einer Situation, wo der dortige nationale Gesetzgeber ebenso untätig bleibt wie der dortige Behördenvollzug.
Aber losgelöst davon – bei der zunehmenden Internationalisierung der Konflikte geht es um eine andere Qualität. Es geht eben nicht nur um zusätzliche Länder, sondern um eine deutlich höhere Komplexität des Rechts, weil man völlig unterschiedliche Rechtsordnungen und Rechtsarchitekturen durchdringen muss, um zu verstehen, warum der eine Kläger das tut oder der andere Beklagte jenes. Wir beobachten seit geraumer Zeit, dass die Fälle mit rein nationalem Bezug rapide weniger werden. Die Zukunft ist eine „Multiple Jurisdiction“, und das betrifft nicht nur uns Litigator-Anwälte, sondern auch die gesamte Branche der Litigation-PR. Übrigens verändert sich nicht nur die Jurisdiktion. Auch der Court of Public Opinion wird internationaler: Das zeigt ja das Beispiel Shell ganz beredt. Das Urteil betrifft längst nicht nur die Verhältnisse in den Niederlanden. Die NGOs auf der ganzen Welt jubeln über dieses Urteil – und das betrifft auch die Reputation von Shell auf einer globalen Ebene.
Das Gespräch führte Armin Sieber