Die Schönschreiber werden weniger. PR im Zeitalter der künstlichen Intelligenz.
Gespräch mit Dr. Christoph Zemelka, Senior Vice President Corporate Communications Robert Bosch GmbH
Herr Zemelka, die Reichweite klassischer Medien schrumpft, ihre Glaubwürdigkeit sinkt. Müssen wir bald PR ohne Medien machen?
Diese Frage ist nicht einfach, sie hat eine wirtschaftliche aber auch eine gesellschaftspolitische Dimension. Der Trend in der Unternehmenskommunikation heißt: Die Marke wird zum Medium und das Unternehmen zum Publishing-Haus. Unternehmen versuchen schon lange über digitale Kanäle und Social Media eine eigene Reichweite zu erzeugen – unter Umgehung der Intermediäre und Medien. Ob das nun zielführend ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den politischen Diskurs oder die Demokratie, das müsste man noch einmal getrennt diskutieren.
Aber aus der Unternehmensperspektive gilt ganz klar: Es gibt die Möglichkeiten, mit überschaubarem Aufwand selber seine Zielgruppen zu erreichen und das werden die Unternehmen nutzen. Die Marke wird zum Medium werden.
Wie verändert sich das Verhältnis für Unternehmenskommunikatoren im Umgang mit klassischen Medien wie Print/TV/HF auf der einen Seite und den sozialen Medien auf der anderen Seite?
Zunächst einmal arbeite ich gern und konstruktiv mit Journalisten und Bloggern zusammen, weil sie uns regelmäßig fordern und uns dazu anhalten, die eigene Position noch einmal zu hinterfragen. Deswegen sehe ich es nach wie vor als sehr wichtig an, dass wir weiter klassische PR machen und mit den Medien zusammenarbeiten. Es wird aber eine Parallelentwicklung geben. Einerseits werden die Qualitätsmedien, die sich im Kampf der Geschäftsmodelle durchsetzen, noch wertvollere Partner für die PR. Andrerseits werden Unternehmen verstärkt selbst zum Medium. Mit den technischen Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen, können Unternehmen sehr genau auf bestimmte Zielgruppen zugehen – im Prinzip personen-genau. Wir erleben geradezu eine Hyperindividualisierung der Kommunikation. Die neuen Targeting-Technologien geben uns die Chance, den breiten Streuschuss zu verringern.“Spray and pray“ gehört der Vergangenheit an.
Ein Wettbewerbsvorteil für die klassischen Medien ist das Thema Vertrauen innerhalb der Leserschaft. Führende Medien wie die FAZ drücken immer noch einen Qualitätsstempel auf die Nachrichten: Gelesen, geprüft, für gut befunden. Das spielt für uns als Unternehmen in der PR nach wie vor eine wichtige Rolle. Für die eigenen Kommunikationsaktivitäten als Medium müssen sich Unternehmen einen vergleichbaren Status erst noch erarbeiten – wenn das überhaupt möglich ist.
Was können Unternehmen von der Digitalisierung der Medien lernen, insbesondere was den Umgang mit komplexen Themen anbelangt, wie etwa TTIP, Oberlandleitungen, Northstream zum Beispiel.
Es ist zwar das Ziel der Unternehmen, selber Vertrauen bei ihren Zielgruppen aufzubauen. Aber das ist natürlich schwierig, weil Unternehmenskommunikation stets Interesse-geleitet ist – und sein muss. Das wissen und akzeptieren übrigens die meisten Menschen, mit denen wir in Kontakt stehen. Es ist und bleibt aber die große Herausforderung der Unternehmenskommunikation, ein Bild zu zeichnen, das eben nicht propagandistisch, banal oder tendenziös ist – den Mut zu haben, differenzierter und journalistischer zu arbeiten.
Man kann zu diesem Zweck beispielsweise Plattformen schaffen, auf denen Inhalte kuratiert werden, die dann auch abweichende Meinungen zur Sprache bringen. Wir erleben ja auch bei den Medien gerade einen Prozess des Explorierens, was kuratierte Inhalte bzw. Sponsored Content anbetrifft. Von solchen Experimenten können wir auch viel für unsere eigenen Content-Plattformen und Medienstrategien lernen.
Viele Medien polarisieren gerne in Richtung einer Hero- oder Zero-Story. Wenn es Medien und Unternehmen auf ihren jeweiligen Kanälen gelänge, mit mehr Zwischentöne und Graustufen zu treffen, dann wäre uns allen sehr geholfen. Die Öffentlichkeit würde dadurch ein facettenreicheres Bild unserer Wirklichkeit bekommen.
Wie kann man Bots und künstliche Intelligenz in der Unternehmenskommunikation einsetzen?
Zunächst in der Analyse. Algorithmen und künstliche Intelligenz können uns helfen, unsere Zielgruppen besser zu verstehen und effektiver anzusprechen. Man kann sie genauer identifizieren und herausfinden, wer für welche Themen empfänglich oder gar meinungsbildend ist.
Dann natürlich im Dialog: Bots werden vor allem dann ihre Berechtigung haben, wenn es um Engagement geht. Ein Bot kann einen Kontakt menschlich und sympathisch erscheint lassen – so dass man also gerne mit dem Gegenüber interagiert. Im Moment ist das aber in vielen Fällen nicht so. Das zeigt die Herausforderungen, vor denen die Künstliche Intelligenz noch steht.
Gut funktionieren könnten Bots sicherlich im Bereich Customer Support, d.h. bei Themen, die heute schon über Call-Center abgewickelt werden. Gerade Standardfragen im First Level könnte auch ein Bot beantworten. Wenn das ausreichend gut gemacht ist, triftt das auch die Kundenakzeptanz.Sie müssen nicht unbedingt mit einem Menschen sprechen, wenn es um die Frage geht, wo die nächste Filiale des Unternehmens zu finden ist.
Interessant für die PR wird es dann, wenn man Bots für anspruchsvolle Dialoge und 1:1 Kommunikation einsetzen kann. Das liegt sicherlich noch in ferner Zukunft. Wenn allerdings künftig mein VPA (Virtual Personal Assistant), der mein Email-Postfach managen soll, plötzlich Anfragen von einem externen Chatbot beantwortet, dann muss die Frage nach dem Mehrwert schon erlaubt sein. Da könnte die automatisierte Kommunikation auch abstruse Züge annehmen.
Berater sehen aber genau das voraus – etwa wenn McKinsey in aktuellen Studien davon spricht, dass es demnächst ein Marketing-to-Bots geben muss. Wenn es in Zukunft also einen Bot geben sollte, der mein Smart-Home managt, dann räume ich dem eventuell gewisse Rechte ein – etwa, bei der Essens-Bestellung. In einem solchen Szenario kann man sich gut vorstellen, dass bestimmte Anbieter wie Supermärkte oder Restaurants gegenüber einem Bot Produkte und Leistungen vermarkten, sofern der Bot in gewissem Rahmen Entscheidungsgewalt haben sollte .
Wenn die Anzahl der Bots darüber entscheidet, welchen Nachrichtenwert bestimmte Inhalte haben, dann hat das durchaus Einfluss auf demokratische Grundprinzipien. In so einem Szenario ist nicht mehr transparent, wie Meinung entsteht. Wie gehen wir in Zukunft als Unternehmen mit diesem Phänomen um?
Das hat zwei Dimensionen. Zum einen geht es hier um AI-Ethics, d.h. die ethische Seite der Künstlichen Intelligenz. In den USA gibt es hierzu bereits verschiedene Entwicklungen. Amazon, Facebook, Google, IBM, Microsoft und andere haben eine Partnership on AI gegründet, die sich genau mit solchen Fragen beschäftigt. Und auch Elon Musk hat mit Open AI einige Einzelpersonen und Unternehmen zusammen gezogen, um zu diskutieren, wo die ethischen Grenzen von künstlicher Intelligenz liegen. Eine Grenze könnte zum Beispiel die Frage sein, wie sehr Automaten eine öffentliche Diskussion gestalten, beeinflussen und im Zweifel manipulieren dürfen. Wie sehr muss der Absender kenntlich gemacht werden? Wie weit muss sicher gestellt werden, dass Fake-News erkennbar gemacht werden? Dürfen das Facebook oder Google als Beteiligte machen oder muss das öffentlicher Kontrolle unterliegen?
Da gibt es noch mehr Fragen als Antworten. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass es richtig ist, sich jetzt Gedanken zu diesem Thema zu machen. Die technische Entwicklung wird sich eher noch beschleunigen. Grundsätzlich müsste die ethische Gedankenführung aber vorneweg gehen. Denn andernfalls wird schwierig bis unmöglich sein, dem technischen Fortschritt in diesem Bereich die ethisch wünschenswerten Entwicklungspfade aufzuzeigen. Ich halte es für ganz dringend geboten, dass wir uns in Deutschland und Europa frühzeitig diese Gedanken machen – sowohl die Roboter-Ethik als auch die Roboter-Gesetzgebung dürften der technischen Entwicklung hinterher hinken. Wir sollten uns in Europa mutig aufstellen. Ich bin überzeugt, dass wir auch ein paar gute Gedanken haben werden, die durchaus von denen der Amerikaner abweichen könnten.
Sehen Sie Einsatzfelder in der PR für Natural Language Generation (NGL)-Technologie, also den sogenannten Roboter-Redakteuren?
Die NLG-Technologie kann dann hilfreich sein, wenn es darum geht, die klassischen Routine-Tätigkeiten eines PR-Managers zu erleichtern – also etwa, beim Erstellen von Gebrauchstexten oder einfachen Standard-Informationen.
Wir arbeiten derzeit an einem Pilotprojekt, bei dem wir ausloten, inwieweit NLG uns bei der Produktion standardisierter Produkt-Presseinformationen entlasten kann. Die Ergebnisse sind spannend und überraschend gut. Wir haben allerdings festgestellt, dass für einen Einsatz in der klassischen Unternehmenskommunikation vielleicht noch etwas früh ist. Der echte Mehrwert – auch für die Verbesserung der Funktionalität – hängt im Moment noch stark davon ab, wie viele Texte man erstellt. Wenn sie pro Tag 500 Sportnachrichten produzieren, liegen die Vorteile auf der Hand, zumal das System sehr schnell lernt. Bei Produktpresseinformationen fehlt in aller Regel aber die notwendige Menge. Das Pilotprojekt in unserem Geschäftsbereich Powertools kann kaum auf eine dreistellige Zahl an Veröffentlichungen mit reinem Produktbezug zurückgreifen – pro Jahr wohlgemerkt, nicht pro Tag. Bevor man hier eine Systemlösung anstrebt, die Prozesse entsprechend umstellt und die Mitarbeiter umfangreich schult, sind die Texte schneller von Hand geschrieben.
Wir werden das Thema dennoch weiterverfolgen. Denn auf kurz oder lang wird die automatische Texterstellung mehr und mehr Aufgaben in der Unternehmenskommunikation übernehmen. Auch kurzfristig sehen wir bereits durchaus interessante Anwendungsfelder, etwa bei Produktbeschreibungen und Marketingtexten für E-Commerce-Portale wie Amazon. Oder auch bei der Texterstellung für Verpackungen, interne Produktdatenblätter oder ähnliches kann der Algorithmus entlasten und Routinetätigkeiten durchführen.
Eines zeigen die ersten Erfahrungen aus dem Pilotprojekt bereits: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich der Zuschnitt der Jobprofile von PR-Managern ändern. In Zukunft wird Software-Kompetenz wichtiger, man muss immer mehr von Big-Data und Analytics verstehen. Die „Schönschreiber“ werden weniger, die „Techniker“ verstärkt in den Vordergrund treten. Geschätzt wird sich das bei einem Verhältnis von 50 zu 50 einpendeln – die neue technische Parität in der Unternehmenskommunikation.