PARADIGMENWECHSEL IM COMPLIANCE MANAGEMENT
Mit Verabschiedung der EU-Whistleblower Richtlinie im Dezember 2019 begann die Uhr für die Mitglieder der Europäischen Union zu ticken: bis zum 17. Dezember 2021 sollten diese die Richtlinie eigentlich in nationales Recht umgesetzt haben. Nachdem der erste Entwurf in der abgelaufenen Legislaturperiode des Deutschen Bundestags nicht die benötigte Stimmenmehrheit erhalten hatte, harrt das Hinweisgeberschutzgesetz in Deutschland weiterhin auf seine Umsetzung. Gleichwohl sind im ersten Schritt ca. 17.000 deutsche Unternehmen, die mehr als 250 Mitarbeitende beschäftigen, davon betroffen – ab Dezember 2023 wird dieser Kreis gar auf Unternehmen ab 50 Beschäftigte erweitert, so dass dann der Großteil der kleinen und mittleren Unternehmen erfasst sein wird. Dem aktuellen „Whistleblowing-Report“ der Fachhochschule Graubünden zufolge verfügen in Deutschland ca. 60 Prozent der Unternehmen über eine Meldestelle für Compliance-Verstöße, an die sich Hinweisgeber wenden können.
Ich sprach über das Thema mit Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf, Leiter des Zentrums für Kartellrecht und Compliance an der ZHAW (Schweiz).
Herr Krauskopf, was bedeutet das Inkrafttreten der EU-Whistleblower Richtlinie für Beschäftigte in deutschen Unternehmen und deren Zulieferern? Können Hinweisgeber sich auf sie berufen, ohne dass die EU-Richtlinie bislang in nationales Recht umgesetzt wurde?
Die rechtzeitige Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie ist in Deutschland gescheitert. Einzelne Bestimmungen der Richtlinie können nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dennoch unmittelbar Anwendung finden: Sofern die Bestimmungen klar und genau formuliert, bedingungsunabhängig und grundsätzlich dazu geeignet sind, eine unmittelbare Wirkung zu entfalten, entsteht eine direkte Wirkung. Mit anderen Worten: Die Bestimmungen der Richtlinie können trotz fehlender nationaler Umsetzung zwischen Bürger und Staat Anwendung finden. Folglich sollten sich Unternehmen mit 250 oder mehr Mitarbeitenden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts um die Implementierung eines Hinweisgeberschutzsystems kümmern, um der Richtlinie bereits zum jetzigen Zeitpunkt zu genügen.
Wenn man mal von den rechtlichen Anforderungen durch die EU-Richtlinie absieht, was sind aus Perspektive der Unternehmen die wesentlichen Vorteile, die für die Einführung eines Hinweisgebersystems sprechen?
Zunächst steigert die Implementierung eines Hinweisgebersystems die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens auf dem Markt, indem es sich den gesetzlichen Standards anpasst und das nach außen und innen im eigenen Verhalten zeigt.
Gemäß der Richtlinie haben Hinweisgeber die Wahl, ob sie sich an die Meldestelle innerhalb des Unternehmens oder direkt an die zuständige Behörde wenden wollen. An die Öffentlichkeit darf sich ein Hinweisgeber dann wenden, wenn dieser eine Meldung abgegeben hat, bei der keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden oder es einen hinreichenden Grund zur Annahme gibt, dass der Verstoß eine unmittelbare bzw. offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellt bzw. bei einer Meldung an die Behörde Repressalien zu befürchten sind. Ein effektives Hinweisgebersystem schützt vor der öffentlichen Bekanntgabe von Verstößen und damit vor möglichen Reputationsschäden eines Unternehmens. Auf diese Weise lassen sich für Unternehmen durch die Implementierung eines Hinweisgebersystems aktiv Kosten sparen.
Wenn Sie die Situation in Deutschland mit derjenigen in anderen Ländern wie beispielsweise den USA vergleichen, was fällt Ihnen auf?
In Europa bzw. Deutschland steckt der Hinweisgeberschutz noch in den Kinderschuhen. In den USA gibt es bereits seit fast 20 Jahren einen gesetzlich verankerten Hinweisgeberschutz. Im Besonderen fällt auf, dass Belohnungssysteme in den USA weit verbreitet sind. Das heißt, dass Hinweisgeber aktiv dafür belohnt werden, Verstöße zu melden.
Aufgrund der besonderen deutschen Historie gibt es hierzulande starke Vorbehalte gegenüber Denunzianten. Zudem genossen Hinweisgeber in der Vergangenheit keinen besonderen Schutz. Was sollten deutsche Unternehmen jetzt tun, um ihre Beschäftigten und die ihrer Zulieferer und Vertragspartner dafür zu gewinnen, aus der Deckung zu kommen und frühzeitig auf Missstände aufmerksam zu machen?
Es ist wichtig, dass Unternehmen eine Kultur der Transparenz an die Mitarbeitenden herantragen. Über solche Werte muss diskutiert werden und Unternehmen sind deshalb jetzt gefragt, einen solchen Austausch zu fördern. Das Verständnis einer offenen Unternehmenskultur muss zudem glaubwürdig von den Leitungspersonen gezeigt werden. Dieses Prinzip nennt man auch „tone from the top“.
Welchen Beitrag kann die Unternehmenskommunikation zur erfolgreichen Implementierung eines Hinweisgebersystems leisten?
Bei der Implementierung des Hinweisgebersystems müssen die Unternehmen die Kanäle verwenden, welche die Mitarbeitenden ansprechen. Diese Kanäle können beispielsweise eine Mitarbeitendenzeitschrift oder spezielle Veranstaltungen wie zum Beispiel Townhalls sein.
Wenn wir an die großen Wirtschaftsskandale der letzten Jahre wie Dieselgate und Wirecard denken – lassen sich solche gravierenden Compliance-Verstöße und die damit verbundenen Haftungsrisiken durch ein effektives Compliance-Management künftig verhindern?
Verstöße kann man nicht restlos verhindern. Die Einführung eines Strafgesetzes verhindert schließlich auch nicht, dass es weiterhin Straftäter gibt. Die Hürde, eine Straftat oder einen für die Compliance relevanten Verstoß zu begehen, wird hingegen mit dem Hinweisgeberschutz deutlich erhöht. Außerdem hilft ein effektives Compliance-Management etwaige Verstöße frühzeitig zu erkennen und Schäden zu verhindern.
Das Gespräch führte Steffen Fritzsche
Weitere Informationen zum Thema finden Sie im „WHISTLETALK„. Hier gibt unser Interviewpartner Prof. Dr. iur. Patrick L. Krauskopf im Gespräch mit Dr. Burkhard Fassbach einen spannenden Einblick in die Funktionsweisen von #Compliance und #Whistleblowing. Die Sendung wurde aufgezeichnet im SRF Sendestudio Zürich am 22. September 2021 https://www.youtube.com/watch?v=FdM947R4W58&t=3s