Die KI-Revolution erreicht die PR
Kolumne im PR-Magazin über Künstliche Intelligenz in den Medien
von Armin Sieber, Managing Partner Sieber Senior Advisors
In den vergangenen Monaten häuften sich bei der Redaktion des Branchen-Mediums PR-Magazin die Leserfragen zum Thema Künstliche Intelligenz. Viele Kollegen in der Branche stellten sich durchaus berechtigte Fragen, wie es mit unserem Metier weitergeht angesichts eines zunehmenden Automatisierungsdrucks. Als Experte habe ich nach bestem Wissen und Gewissen die Fragen beantwortet. In Abstimmung mit der Redaktion gebe ich hier die Kolumne erstmals im Gesamtzusammenhang wieder.
Künstliche Intelligenz (KI) hat bereits einen großen Einfluss auf das Werbe- und Marketinggeschäft. Wie wird KI die PR-Branche in Zukunft gestalten? (3/2019)
Grundsätzlich gilt für die Unternehmenskommunikation, was auch für alle anderen Lebensbereiche gilt: Alles, was sich sinnvoll automatisieren lässt, wird automatisiert werden. Die Frage ist: Was ist sinnvoll? Künst liche Intelligenz gilt zurzeit als einer der wichtigsten Treiber der digitalen Transformation – auch in der Unternehmenskommunikation. Algorithmen, die auf Machine-Learning-Verfahren basieren, werden Muster im Strom der Massenkommunikation suchen, erkennen, prognostizieren – und Kommunikation auch teilautonom selbst herstellen. Grundsätzlich sehe ich sechs Ansatzpunkte dafür:
- Identifikation von interessanten Medieninhalten (etwa für das Topic Surfing),
- Recherche und Sammeln von relevantem Content,
- Identifikation von relevanten Influencern (Influencer Listening),
- Produktion von Content und Texten (etwa in Form von Rohtexten),
- Automatisierung von Dialogen (etwa durch Dialogroboter),
- Orchestrieren und Kuratieren von individuellen Inhalten.
In all diesen Bereichen wird KI bereits eingesetzt, und hier wird ihr Einsatz auch noch weiter stark ausgebaut. Marketing und Unternehmenskommunikation unterscheiden sich im Hinblick auf diese Entwicklungen nicht. Allerdings gibt es gravierende Unterschiede im Hinblick auf Formate, Inhalte und Zielgruppen der Kommunikation. Und natürlich verfügen viele Marketingabteilungen nach wie vor über deutlich höhere Budgetkraft – dort fällt es leichter, in die notwendige Infrastruktur zu investieren. Automatisierung wird überall dort ansetzen, wo einfache, repetitive Prozesse und Aussagen abgearbeitet werden – etwa in Callcentern, im Kundenservice, bei der Erstellung von personalisierten Newslettern oder Ähnlichem. Auch die automatisierte Erstellung von Pressemitteilungen lässt sich auf der Basis von Algorithmen vorstellen – sinnvoll ist das eher nicht. Das Problem der Pressemitteilung ist nicht die Erstellung – das macht jeder Profi im Handumdrehen. Die Frage ist: Was soll überhaupt drinstehen? Und die Entscheidung kann uns keine KI abnehmen. Auch die Automatisierung des Pressesprechers sehe ich auf lange Sicht nicht. Dialogroboter werden zwar sehr bald einfache Dialoge wirksam führen können. Ihr Einsatz wird aber nur in bestimmten Nischen wirklich sinnvoll sein – insbesondere dort, wo einfache und repetitive Dialoge die Effizienz steigern. Denn bei einem großen Teil der Unternehmenskommunikation kommt es nicht nur auf schiere Informationsvermittlung an. Es geht stattdessen um Beziehungsaufbau – und das erfordert Nuancen, die ein Dialogroboter nicht so schnell beherrschen wird. Die Authentizität des Gesprächs, die schillernde Vielfalt des Schweigens – wir wären schlecht beraten, würden wir das einer Maschine überlassen.
Die Gesellschaft und wir als professionelle Kommunikatoren sind heute darauf angewiesen, den etablierten Medien und Algorithmen der sozialen Netzwerke zu vertrauen. Aber: Mit zunehmender Digitalisierung wachsen auch die Manipulationsmöglichkeiten, Stichwort Chatbots und Fake News. Welche technologischen Lösungen gibt es, die diesem Problem entgegenwirken, und inwieweit muss eine PR-Strategie ebenfalls hier ansetzen? (4/2019)
Ohne Zweifel entstehen durch die Digitalisierung neue Möglichkeiten, auf den Prozess der Nachrichtengenerierung und auf die Inhalte selbst Einfluss zu nehmen. Ich sehe da vor allem folgende Probleme:
- Gerüchte und Falschinformationen können leicht in Foren oder Social-Media-Kanälen platziert werden – und dort erhebliche Schäden anrichten.
- Tendenziöse oder falsche Nachrichten können durch Bot-Armeen auf Social-Media-Plattformen massenhaft verbreitet werden.
- Der Agenda-Setting-Prozess kann manipuliert werden, etwa im Bereich der Trending Topics.
- Sogenannte Deep Fakes erzeugen Video- oder Tondokumente und kompromittieren öffentliche Personen durch Aussagen, die sie nie gemacht haben.
Das Problem ist nicht zu vernachlässigen – und es betrifft Wirtschaft und Politik gleichermaßen. So hat das Berliner Unternehmen botswatch im Dezember 2018 Zahlen vorgelegt, nach denen 28 Prozent der Tweets über den UN-Migrationspakt von Social Bots stammen sollen. Die Identifikation von Bots oder Bot-Netzen ist aber nicht unproblematisch. Ob hinter einem Profil eine Maschine steckt oder nicht, können Firmen wie botswatch oder BotOrNot inzwischen zwar detektieren. Oft ist das aber schwerfällig. Zudem gibt es auch hier keine hundertprozentige Sicherheit. Letztlich wird man die Plattformbetreiber in die Pflicht nehmen. Die haben sich allerdings in der Vergangenheit nicht durch allzu großen Aktivismus hervorgetan. Zu groß ist die technische Herausforderung einer zuverlässigen Erkennung – zu hoch sind möglicherweise auch die Follower-Zahlen, die dadurch verloren gehen könnten. Ein Fall für die Regulierung? Eine Bot-Kennzeichnungspflicht, über die die Bundesregierung bereits nachdenkt, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber auch dann müssen sich die Unternehmen auf mögliche Krisen vorbereiten. Real-Time- Monitoring wird zur Grundvoraussetzung. Wenn auch nur der leiseste Verdacht im Raum steht, dass eine Krise durch Fake News oder technische Manipulation induziert ist, sollten spezialisierte Berater hinzugezogen werden. Die Beweisführung ist oft schwierig. Eine zeitgemäße Crisis-Management-Beratung verfügt heute aber über die nötige Cyber-Forensic-Expertise.
Wie schätzen Sie das Potenzial der Arbeit mit künstlicher Intelligenz für Agenturen ein? (9/2019)
Die gewohnten Leistungsbereiche einer Agentur wird es auch in Zukunft geben. In der Vergangenheit haben wir allerdings gesehen, dass die Digitalisierung einen Medienwandel vorantrieb, der das Aufgabenfeld von uns Kommunikatoren deutlich verändert hat. Durch Künstliche Intelligenz wird sich dieser Prozess weiter entfalten. Das Potenzial für Agenturen wird dann groß sein, wenn es gelingt, die richtigen Anwendungsfelder zu erkennen und zu nutzen. Ich möchte dazu einige Beispiele geben.
- Redaktionsroboter: Natural-Language-Processing-Technologien (NLG) haben mittlerweile eine Qualität erreicht, mit der man Textproduktion einfach automatisieren kann. Die Frage ist: Wo ist das sinnvoll? Wir haben solche Technologien bereits vor zwei Jahren beispielsweise im Event-Management eingesetzt – um hunderte Kongressteilnehmer individuell ansprechen und informieren zu können. Die Texte kamen dabei von der Maschine – keiner war mit einem anderen identisch. Ein überzeugendes Anwendungsbeispiel.
- Voice First: Sprechende Maschinen und Produkte werden immer mehr den Alltag erobern. Ihr Conversational Design könnte bald auch zum Aufgabenfeld für Kommunikationsagenturen werden. Wenn es gelingt, diese Technologien in Form von überzeugenden Kommunikationsszenarien einzusetzen, können Kommunikatoren auch zu Conversational-Experience-Designern (CX) werden – so wie sie sich gerade zu User-Experience Experten (UX) entwickeln.
- Virtuelle Sprecher: KI-basierte Algorithmen können schon heute reale Personen in Stimme und Gestik täuschend echt kopieren.
Ein NLG-Algorithmus lässt sie vorgegebene Texte in beliebig vielen Sprachen wieder geben oder auch einfache Dialoge führen. Wer entsprechende Anwendungsbeispiele findet, kann mit solchen Kommunikationstechnologien durchaus erfolgreiche kommunikative Problemlösungen schaffen – und nicht nur Fake News verbreiten. An solchen und vielen anderen KI-basierten Anwendungen wird bereits gearbeitet. Kommunikatoren sollten sich darauf einstellen, in Zukunft mit diesen Technologien zu experimentieren. Ich bin überzeugt, dass sie unsere etablierten Aufgabenfelder ergänzen und deutlich erweitern werden.
Wird Künstliche Intelligenz über kurz oder lang Basis-PR-Arbeiten wie Pressemitteilungen ersetzen können? (11/2019)
Künstliche Intelligenz wird zweifellos im Bereich der Basis-PR-Arbeit Einzug halten. In Teilen ist das bereits der Fall – etwa beim Monitoring. Bei Pressemitteilungen sehe ich hingegen auf längere Sicht keine sinnvollen Einsatzfelder. Die Stärke von Natural-Language-Processing-Technologien (NLG) liegt nicht in der Produktion von Einzeltexten. Redaktionsroboter sind immer dann stark, wenn es darum geht, skalierbare Textmengen von ähnlich strukturierten Texten zu produzieren, die ihre spezifischen Aussagen aus veränderlichen Daten ziehen. Eine Pressemitteilung schreibt man genau einmal. Das Zeitproblem liegt dabei in der Recherche der Inhalte und in der Abstimmung der Aussage – nicht in der reinen Textproduktion. Hier gibt es also nicht genügend sinnvolle Skalierungseffekte – der Use-Case überzeugt nicht. Passende Use-Cases liegen aber auf der Straße – sei es im Bereich der Eins-zu-eins-Kommunikation, der Website-Inhalte, Newsletter oder personalisierten News-Dienste. Redaktionsroboter haben mittlerweile eine Qualität erreicht, mit der man einfach Textproduktion automatisieren kann. Überall dort, wo diskrete Daten zu Themenfeldern vorliegen, können Textalgorithmen für eine passgenaue, massenhafte Textproduktion sorgen. Wir haben solche Technologien bereits vor zwei Jahren beispielsweise im Event-Management eingesetzt – um hunderte Kongressteilnehmer individuell ansprechen und informieren zu können. Die Texte kamen dabei von der Maschine. Kein Text war identisch – eine völlig neue Kommunikationsqualität ist dadurch entstanden. Daher bin ich auch überzeugt, dass KI und Redaktionsroboter keine PR-Arbeit wegrationalisieren, sondern Aufgabenbereiche er schließen werden, die bisher in Qualität und Personalisierungsgrad undenkbar waren. Angesichts der rasanten Entwicklung dieser Technologie, will ich nicht aus schließen, dass in naher Zukunft eine KI etwa Recherchehilfe leistet und erste Rohtexte formuliert zu Themen, für die sie mit Trainings daten angelernt wurde. Was wir aber sagen wollen und wie wir es sagen wollen – das kann uns keine KI abnehmen.
Wie verändert sich das Berufsbild des PR-Beraters durch die immer größer werdende Nachfrage nach Künstlicher Intelligenz (bezogen auf das Schreiben von Texten)? (1/2020)
Können KI-Algorithmen uns PR- Berater bei der Arbeit und konkret bei der Produktion von Texten unterstützen? Eindeutig ja! Die Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass man einfache, sich wiederholende Textsorten inzwischen sehr gut mithilfe von Redaktionsrobotern erstellen kann. Produkte wie AxSemantics oder Retresco werden in den Redaktionen immer häufiger eingesetzt. Die An- wendungsbeispiele sind hinreichend bekannt: Sport- bericht erstattung, Wetterberichte, personalisierte News letter oder Katalogsysteme auf Websites sind gängige Beispiele, bei denen das gut funktioniert. Werden Künstliche Intelligenzen die Arbeit von PR-Beratern ersetzen? Sicher nicht. Heute sind Redaktions roboter vor allem Assistenzsysteme. Sie geben uns die Möglichkeit, Text zu individualisieren und in Mengen zu produzieren, an die wir kaum zu denken gewagt hatten. Die wesentlichen Aufgaben der PR bleiben: Die spezifische kommunikative Problemlösung und der kreative, neue Ansatz werden auf lange Sicht individuelle Leistungen von PR-Experten bleiben. Was bedeutet das für das Berufsbild von PR-Beratern und -Redakteuren? KI-basierte Spezial-Software, etwa zur automatisierten Text produktion, wird zum Handwerkszeug gehören. Sie ist für Redakteure heute nicht viel schwieriger zu erlernen als MS Office. Die Herausforderung durch KI in der PR entsteht an anderer Stelle: in der Nutzung von Daten als Grundlage für komplexe, facettenreiche Geschichten. Hier werden wir PR-Leute dazulernen müssen. Kein Grund zur Panik: Das mussten wir in den vergangenen drei Jahrzehnten der Digitalisierung immer wieder – und es hat unseren Job mit jedem Innovationsschub wichtiger und spannender gemacht.