DIE MÄR VOM KRIMINELLEN MANAGER
Gespräch mit Rechtsanwalt und „D&O-Papst“ Michael Hendricks, erschienen am 12.4.2021
“Wir sind gespannt, wie das Gezocke ausgeht.” Michael Hendricks im Gespräch über die Rolle der D&O Versicherer in der Managerhaftung.
Im Dieselskandal hat der Aufsichtsrat von VW und AUDI angekündigt, seine Ex-Topmanager Winterkorn und Stadler mit Schadensersatzforderungen in Anspruch zu nehmen. Das kam nicht überraschend. Zum normalen Prozedere der rechtlichen Aufarbeitung eines Wirtschaftsskandals gehört das „Gezocke“ mit den D&O Versicherern um Schadenersatz. Oft findet das hinter verschlossener Tür statt, manchmal auch im Licht der Öffentlichkeit. Wir sprachen mit dem Wegbereiter der D&O-Versicherung in Deutschland Michael Hendricks über das Risiko, ein Top-Manager zu sein – und wie man sich vor unangenehmen Haftungsfolgen schützen kann.
Herr Hendricks, Sie gelten als einer der besten Kenner des D&O-Versicherungsmarkts. Als Pionier haben sie sich mit der Einführung von spezifischen D&O Policen für den deutschen Markt beschäftigt und zahlreiche Top-Manager beraten. Worum geht es dabei eigentlich? Können Sie das einmal kurz schildern?
Eine D&O-Versicherung ist eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, die ein Unternehmen für seine Organe und leitenden Angestellten abschließt. Das ist mittlerweile ein standardmäßiger Prozess – ähnlich wie sie sich ja auch eine private Haftpflicht-Versicherung zulegen, die Sie vor unvorhersehbaren finanziellen Schäden schützt. Fehler oder Pflichtverletzungen können passieren, niemand ist perfekt. Das gilt auch für Manager, nur dass die Schäden, die dabei entstehen, erheblichen Umfang annehmen können. Wenn, wie etwa im Dieselgate Skandal, Schäden in Milliardenhöhe entstanden sind, kann für die verantwortlichen Manager schnell die Privatinsolvenz drohen. Davor soll sie eine D&O-Versicherung schützen.
Im Zusammenhang mit dem Dieselgate-Skandal hat der Aufsichtsrat der Volkswagen Gruppe letzte Woche angekündigt, dass man die verantwortlichen Manager, in Anspruch nehmen will. Dadurch hat in den Medien das Interesse an D&O Versicherungen wieder zugenommen, auf deren Kosten das ja im Wesentlichen gehen soll. Wie läuft so etwas eigentlich ab?
Der Fall um Herrn Winterkorn und Herrn Stadler ist derzeit einer der spannendsten, den wir in der Branche haben. Bei der Formulierung der Ansprüche gegen sie wird sich der Aufsichtsrat zum einen an der maximalen Höhe der D&O Deckungssumme orientieren, andererseits auch an der Höhe des Privatvermögens – die Zahlen dazu können sie ja auch überall schon in den Zeitungen lesen. Man schielt also auf die Kasse der Versicherer und möglicherweise werden auch die betroffenen Manager um eine Eigenbeteiligung nicht herumkommen.
Technisch läuft das dann in der Regel so ab, dass die beschuldigten Manager ihre Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an ihren Ex-Arbeitgeber (also beispielsweise an VW) abtreten. Dann würde VW direkt gegen die Versicherer vorgehen. In dem Fall sitzen alle an einem Tisch – lange bevor die tatsächlichen Schadensersatz-Ansprüche überhaupt geltend gemacht worden sind. In der Regel wird man sogar versuchen, Ansprüche überhaupt nicht auszulösen, sondern im Vergleichspapier eine Drei-Parteien-Einigung zu finden. Wir alle sind natürlich gespannt, wie dieses Gezocke zwischen Versicherer und VW ausgehen wird.
Die Anspruchsteller richten, wie sie ja beschrieben haben, ihre Forderungen meist direkt an die Versicherer. Im Fall Winterkorn ist von einer Deckungssumme von bis zu 500 Mio. € die Rede. Da laufen also erhebliche Forderungen auf die Versicherer zu. Haben sich die Versicherer diese Suppe selbst eingebrockt – oder anders gesagt: Ist hier ein Haftungsregime entstanden, dass es ohne die Versicherer gar nicht in dieser Form geben würde?
Nun sind die Aufsichtsräte ja verpflichtet, alle Ansprüche zu prüfen und wahrzunehmen. Aber Sie haben natürlich recht: Wenn es die D&O Versicherungen nicht gegeben hätte, dann hätten wir sehr viel weniger spektakuläre Haftungsprozesse hier in Deutschland. Es war sicherlich ein Spiel mit dem Feuer für die Versicherer, Versicherungspolicen mit derart gigantischen Deckungssummen anzubieten. Das förderte natürlich die Ansprüche und die D&O Versicherungen haben damit die Klageflut auch befeuert.
Die Schere geht auseinander. Zum einen wird das Haftungsregime seit dem ARAG-Garmenbeck-Urteil des Bundesgerichtshofs vor über 20 Jahren immer drakonischer. Auf der anderen Seite leisten die Versicherer immer weniger. Wie können sich Manager in Zukunft schützen?
Das wird in der Tat immer mehr zu einem Problem. Zunächst einmal müssen wir da differenzieren zwischen den Rechtsformen Aktiengesellschaften auf der einen Seiten und den GmbHs, Genossenschaften und so weiter auf der anderen Seite. Wenn sie beispielsweise Geschäftsführer einer großen GmbH sind, können Sie mit den Gesellschaftern in einer Form verhandeln, die in einer AG so nicht möglich ist. Sie können zum Beispiel zusätzlich zu einer D&O Versicherung eine Haftungserleichterung in ihrem Anstellungsvertrag fordern. Als Geschäftsführer können Sie mit Ihren Gesellschaftern etwa vereinbaren, dass Sie allenfalls bereit sind für grobe Fahrlässigkeit zu haften. Für die leichte Fahrlässigkeit würde ich immer empfehlen, dass man einen Haftungsausschluss verhandelt oder eine leichte Limitierung mit einem gewissen Betrag. Das gibt es inzwischen immer häufiger, dass Geschäftsführer solche Forderungen an ihre Gesellschafter stellen – oder aber den Arbeitgeber wechseln. Solche Haftungserleichterungen sind inzwischen Standardklauseln geworden. Das geht aber nicht bei Aktiengesellschaften. Hier können sie keine Haftungserleichterungen durch Gesellschafter freizeichnen lassen.
Wie geht es mit den D&O Versicherungen weiter: Wird den Job als Top-Manager bald keiner mehr machen, weil das Risiko zu hoch ist?
Es stimmt schon: Der Markt ist aktuell schwierig. Es wird in ganzen Branchen immer schwieriger, die Mandanten vernünftig zu versichern. Wir haben heute überall nur noch die Hälfte der Deckungssummen und die Entwicklung ist noch nicht zu Ende. Die Deckungssummen sinken weiter, während die Prämien steigen – und es wird immer mehr Deckungssauschlüsse geben. Diese Marktverhärtung wird noch eine Weile weiter gehen.
Es hat sich aber auch vieles verbessert. Man kann durchaus sehen, dass sich in den Vorstandsetagen das Bewusstsein für Recht und Ordnung deutlich geschärft hat. Manager gehen heute in der Regel verantwortungsvoller vor, als sie es früher getan haben. Klar: Es gibt Fälle von krasser Wirtschaftskriminalität – das zeigt der Fall Wirecard. Die Mär vom kriminellen Manager stimmt aber so pauschal einfach nicht. Noch vor zwanzig Jahren konnten Sie ohne Korruption in vielen Geschäftsbereichen und Ländern kaum etwas bewirken – denken Sie einmal an den Siemens-Fall. Im Gegenteil: Man konnte die Bestechungsgelder ja bis vor Kurzem sogar noch von der Steuer absetzen. Das hat sich inzwischen radikal geändert und das ist eine gute Entwicklung. Heute haben sie aufgeklärte Vorstände in den Chefetagen. Sie werden regelmäßig durch ihre Rechtsabteilung informiert. Sie haben gelernt, dass sie Compliance-Strukturen einführen müssen. Natürlich sollen sie auch finanziell dafür gerade stehen für den Schaden, den sie zu verantworten haben – aber mit vernünftigen Summen, die sie nicht in die Privatinsolvenz treiben.
Auch in den Aufsichtsräten scheint man das verstanden zu haben. Inzwischen versuchen sie, die Kirche im Dorf zu lassen und die Vorstände nicht in den Ruin zu treiben. Man muss da ein gesundes Maß finden und genau das scheinen ja die Aufsichtsräte von VW und Audi nun auch zu versuchen. Das halte ich auch für angeraten. Es ist völlig in Ordnung, wenn Manager, die jahrelange große Vorteile und hohe Gehälter hatten, sich nun auch am Schaden angemessen beteiligen. Das ist auch bei jedem Selbständigen so. Aber bitte mit Augenmaß.
Was das Haftungsregime anbelangt, dass Sie angesprochen haben: Hier ist meiner Meinung der Gesetzgeber gefragt, das Risiko einzuschränken. Das fordern führende Juristen schon seit langem: Deutsche Unternehmen werden in Zukunft ein Riesenproblem mit der Besetzung Ihrer Top-Führungspositionen bekommen, weil es weniger Top Führungskräfte gibt, die bereit sind, sich einem derart hohen Risiko auszusetzen. Wir werden uns in Deutschland dem anglo-amerikanischen System anpassen müssen: Der Vorstand sollte auch in Deutschland nur für grobe Fahrlässigkeit haften. Für leichte Fahrlässigkeit muss es aber Freistellungsmöglichkeiten oder Haftungserleichterungen geben.
Ist das wirklich realistisch? Ist in Deutschland ein politischer Wille erkennbar, es den Managern leichter zu machen?
Nein, Sie haben recht. Es kann noch Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis wir hier zu einer Reform des Managerhaftungsrechts kommen. Das kann durchaus zu einem Problem für die deutsche Wirtschaft werden. Die Folgen sind jetzt schon absehbar. Unternehmerische Aktivität wird in gewisser Weise gehemmt. Kaum einer ist noch bereit unternehmerische Risiken einzugehen.
Die Business Judgement Rule bietet zwar eine gute Grundlage, um sich zu orientieren, welche Entscheidungen im Sinne des Unternehmens noch vertretbar sind oder nicht. Das führt aber jetzt schon zur sogenannten „Gutachteritis“. Zu jedem halbwegs kritischen Thema müssen nicht nur ein sondern auch zwei oder drei Gegengutachten eingeholt werden, um das Risiko-Potential aus unterschiedlichen Seiten zu beleuchten. Es wird ein unglaubliches Geld in die Beratungsindustrie gesteckt, um sich im Sinne der Business Judgement Rule nach allen Seiten abzusichern. Die Entscheidungsträger wollen im Zweifelsfall sagen können: „Hier ist zwar ein riesiger Schaden entstanden. Der war aber nicht zu vermeiden. Schaut mal wie viele Gutachter das im Vorfeld bereits bestätigt haben.“
Die vielen Gutachten verbessern die Qualität der Entscheidungen im Zweifelsfall aber auch nicht. Wenn Sie etwa an das Problem der Cum-Ex-Geschäfte denken: Da konnten auch die Gutachten viele Manager vor einer rechtlichen Verfolgung nicht schützen, weil sie eben selbst oft fehlerhaft oder fraglich waren.
Wird man in einem solchen Fall nicht auch auf externe Beratungsunternehmen zugreifen? Sehr naheliegend ist das ja bei Wirtschaftsprüfungsunternehmen – wenn man etwa an die Rolle denkt, die EY im Fall Wirecard gespielt hat. Aber das betrifft doch dann auch ganz schnell die Kanzleien, die fehlerhafte Gutachten gestellt haben.
In der Tat. Und das geschieht auch. Häufig wird aus einem Haftungsfall gegen das Management eines Unternehmens ein Haftungsfall gegen die Kanzlei, die sie beraten hat. Allerdings haben die Kanzleien in der Regel eine Haftungsbegrenzung in Ihren Mandatsvereinbarungen. Auch Wirtschaftsprüfer haben ein Haftungsprivileg. So einfach ist es also in der Regel auch nicht, dort an Geld zu kommen
Wenn ich mir den Ablauf der großen Wirtschaftsskandale in den letzten Jahren anschaue, so scheint sich ein regelmäßiger Zyklus abzuzeichnen: Cum-Ex, Dieselgate und Wirecard – die Großkrisen lösen sich ab und stets benötigt man etwa ein Jahrzehnt für die rechtliche Aufarbeitung des jeweiligen Problems. Müssen wir uns daran jetzt gewöhnen?
Man kann schon sagen, dass die Großkrisen in regelmäßigen Abständen stattfinden. Ich bin schon gespannt auf den nächsten großen Fall – und der wird sicher kommen.
Das Gespräch führte Armin Sieber