EIN NEWSROOM ALLEIN IST NOCH NICHT AGIL
Gespräch mit Thomas Mickeleit, Director of Communications und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Deutschland
Thomas Mickeleit
Die Diskussion über künstliche Intelligenz hat die Debatte über die Automatisierung von Kommunikation in den letzten drei Jahren stark angeheizt. Inzwischen ist es wieder etwas ruhiger geworden, auch was Zweifel an der konkreten Umsetzbarkeit anbelangt. War KI eine Sackgasse oder wie siehts Du da die Entwicklungen für die Unternehmenskommunikation?
Jede Innovation erlebt am Anfang eine Hype-Phase. Dann flaut sie ab und beginnt erst danach ihre Wirkung zu entfalten. Wir kennen diesen Verlauf zur Genüge aus dem sogenannten Gartner Hype Cycle. Das erleben wir gerade auch hier: KI kommt aus einer sogenannten Hype-Phase raus. Man sieht das auch sehr klar am zurück gehenden Interesse der Medien, das wir kontinuierlich tracken.
Für den Einsatz von KI-Technologien ist das eher eine gute Nachricht, weil wir jetzt auf eine Entfaltungsphase in der Breite zugehen. Das werden wir vielleicht noch nicht unmittelbar sehen, weil es nach wie vor einen großen Gap gibt, zwischen dem, was man glaubt, dass es KI leisten könne, und dem was sie wirklich leisten kann. Bei vielen Dingen steht beispielsweise KI außen drauf. In Wahrheit ist aber gar keine drin. Ein typisches Beispiel sind die Bots der sogenannten ersten Generation. Über sie wurde heftig diskutiert. Dabei läuft aber im Hintergrund nur ein einfacher Logik-Baum, der von Menschen inhaltlich befüllt ist. Aber losgelöst von solchen zyklischen Entwicklungen wird KI eine große Zukunft haben – und das zeigt sich auch daran, was noch alles an Entwicklung in der Pipeline ist.
Wie würdest Du Künstliche Intelligenz überhaupt definieren?
Künstliche Intelligenz ist ein schillernder Begriff. Von KI kann man dann reden, wenn Machine Learning-Technologie zu etwas genutzt wird, was einer kognitiven Erkenntnis ähnelt. Das ist beispielsweise bei Objekt-, Gesichts- oder Spracherkennung der Fall, oder auch, wenn Algorithmen auf dieser Grundlage Schlüsse ziehen. So verwendet man beispielsweise bei Predictive Analytics historische Daten, um zukünftige Ereignisse vorherzusagen, etwa in den Bereichen Finanzen oder Meteorologie – oder in der Aufzugswartung, wie wir mit unserem Kunden ThyssenKrupp zeigen.
Was KI ist, dazu gibt es eine Reihe sehr unterschiedlicher Definitionen. Was sie nicht ist, lässt sich meist viel leichter sagen. Künstliche Intelligenz hat zum Beispiel nichts mit Dystopien à la Terminator zu tun. Das ist sehr weit weg davon, was KI heute leistet und vielleicht jemals leisten kann.
In welchen Gebieten der Medien oder der Unternehmenskommunikation siehst Du denn Anwendungsfelder, wo es durch KI zu Veränderungen, möglicherweise sogar zu disruptiven Veränderungen kommt?
Wenn ich die Wertschöpfungskette der Unternehmenskommunikation durchdekliniere, so beginnt das im Bereich Medienbeobachtung und Medienanalyse. Da helfen uns die kognitiven Services der KI dabei, mit großen Datenmengen umzugehen. Sie helfen uns dabei, sie zu analysieren, Schlüsse zu ziehen – predictive zu werden. Das erlaubt uns inzwischen viel einfacher, schneller und umfassender Einsichten zu gewinnen, als das bisher der Fall war. Da sehen wir auch schon unmittelbare Verbesserungen, da wir mit einem Dienstleister zusammenarbeiten, der künstlich intelligente Algorithmen nutzt. Eine wichtige Rolle spielen dabei unter anderem automatisierte Übersetzungen. Es wäre bisher gar nicht möglich gewesen, tausend Medien in Sekundenstelle verfügbar zu machen. Wir sehen jetzt nahezu in Echtzeit in einem weltweiten Cockpit, was in den Medien und in den sozialen Medien passiert. Wir kommen dadurch aus dem Reporting heraus in eine strategische Steuerung. Das macht einen wesentlichen Unterschied.
Was die automatisierte Produktion von Medien anbelangt, so sehe ich in der Unternehmenskommunikation nur bedingt Einsatzmöglichkeiten. Im Journalismus gibt es da mehr, etwa wenn es darum geht, Sportberichterstattung oder Börsennachrichten automatisiert zu erstellen. In der reinen Textproduktion ist für uns hingegen noch nicht so viel zu gewinnen.
Manche denken auch über eine aktivere Nutzung von Deep Fakes in der Unternehmenskommunikation nach. Technisch mag das gehen. Aber selbst wenn man das transparent macht, gibt es da sicher nicht nur ein Authentizitätsproblem sondern auch – aus meiner Sicht völlig berechtigt – ein Akzeptanzproblem.
Was das Thema Bots anbelangt, so habe ich sogar erhebliche Zweifel, was den Sinn und Zweck eines Einsatzes in der Unternehmenskommunikation anbelangt. Es ist ja nun genau unsere Aufgabe als Kommunikatoren, den Dialog mit den Menschen da draußen zu führen. Wieso soll ich genau diese Kernfähigkeit abtreten an eine noch sehr unvollkommene Technologie. In wie viel Gespräche gehen wir mit einem klaren Ausgangspunkt rein – und enden mit etwas ganz anderem. Das macht eben menschliche Kommunikation aus. Dass ein Bot an diese Stelle kommt, das werden wir zu unseren Lebzeiten nicht erleben.
Was könnten denn realistische, auch ethisch vertretbare Einsatzmöglichkeiten von einer automatisierten Medienproduktion oder von Bots sein?
In der internen Kommunikation gibt es beispielsweise eine Menge Anwendungsmöglichkeiten von Bots, ohne dass die notwendig intelligent sein müssten. In unserem Intranet haben wir beispielsweise einen Bot, der bei der Suche hilft – und der dabei lernt und immer besser wird. Aber auch hier gilt: Man sollte das Potential von Bots in diesen Anwendungsfeldern nicht überbewerten.
Was geht denn darüber hinaus entlang der Wertschöpfungskette.
Man kann sich vorstellen, dass uns KI’s in Zukunft bei der Recherche und Vorstrukturierung von Information helfen. Wenn man sich zum Beispiel die Distribution von Inhalten anschaut, so ist es inzwischen durchaus auch denkbar, mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz den kontinuierlichen Newsflow zu messen und nach medialen Anschlussfähigkeiten zu suchen. Dadurch kann man Meinungen und Trends leichter erkennen. Man könnte auf dieser Grundlage dann auch automatisiert eigene Beiträge ausspielen, um mediale Debatten zu beeinflussen. Ehrlich gesagt, setzen wir das aber nicht ein. Wir nutzen wie gesagt das strategische Instrument eines automatisierten Medien-Monitorings, damit wir zu einem sehr frühen Zeitpunkt spezifische Entwicklungen erkennen. Bei uns sind es aber immer Menschen, die kommunizieren.
Wir haben in den vergangenen drei Jahrzehnten der Digitalisierung mehrere Technologieschübe gesehen, die unsere Arbeit als Kommunikatoren jedes Mal dramatisch verändert und erweitert haben. Worauf müssen wir uns einstellen? Wie sieht der PR-Arbeiter der Zukunft aus.
Wir haben seit etwa zwei Jahren einen Data Scientist und Story Teller im Team. Er kommt eben nicht aus dem Journalismus, sondern aus der Informatik, ist aber sehr stark an medialen Prozessen und Inhalten interessiert und kann sich da auch einbringen. Das ist ein Profil, das sehr selten ist und das man so nicht ausgebildet bekommen – noch nicht. Datengetriebene Kommunikation ist meiner Meinung nach ein ganz wesentlicher Fortschritt, den wir in den letzten Jahren gemacht haben. Wir verfügen über massenhaft Daten, etwa Messdaten aus Social Media, aus der Medienberichterstattung oder Nutzungsdaten unserer eigenen Owned Channels, die eine immer größere Bedeutung gewinnen. Es ist eine Riesen-Chance, wenn man jemand hat, der aus diesen vielen Daten, intelligente Schlussfolgerungen ziehen kann. Das betrifft dann kommunikationsstrategische aber auch taktische Fragen, wie wir etwa Themen zur richtigen Zeit und in der richtigen Tonalität ausspielen können.
Hast Du ein Beispiel für Data PR oder Data Storytelling?
Beginnen wir mal mit der Data-PR. Wir haben etwa Daten zur Email-Nutzung in unserem Unternehmen. Da sehen wir etwa wie Microsoft Teams, unsere Social-Collaboration-Plattform, immer mehr Emails substituiert. Ich kann dann beispielsweise auch erkennen, dass die Hamburger oder Bayern noch mehr Emails schreiben als andere und ich kann mir Gedanken darüber machen, warum das so ist – etwa indem ich diese Daten mit anderen Daten zur Mediennutzung in Verbindung setze.
Das allein ist schon spannend. Zur Data Story wird es dann, wenn ich diese Daten mit konkreten Erlebnissen verbinde, die Menschen damit haben. Wenn ich also beginne, konkrete Lebensgeschichten zu recherchieren, die sich aus den Daten herauslesen lassen, dann komme ich ins Data-Storytelling – und das ist noch eine Umdrehung weiter als Data PR. Daran arbeiten wir bereits intensiv.
Was muss ein Data Story-Teller können und wie wichtig wird das für die Unternehmenskommunikation werden?
Bei Data-Storytelling liegt die Betonung immer noch auf Story-Telling. Der moderne PR-Mitarbeiter muss Daten erkennen, verstehen, bearbeiten können. Er muss sie aber auch mit dem Menschlichen in Verbindung bringen können. Er muss die Geschichte dahinter wittern.
Wie viel diese Form des Arbeitens irgendwann einmal von unserem Geschäft ausmachen wird, das ist schwer zu sagen. Ehrlich gesagt stehen wir noch am Anfang, wenn es darum geht unstrukturierte Daten wirklich für die Unternehmenskommunikation zu nutzen. Datenpolitik wird dabei auch eine große Rolle spielen. Wenn wir irgendwann große Datenmengen quasi auf Knopfdruck zur Verfügung haben, dann verändert das natürlich unser Spiel. Im Augenblick ist die Situation in den meisten Unternehmen aber die, dass unendlich viele Daten vorhanden sind, unstrukturiert, auf unterschiedlichen Systemen und niemand ist in der Lage, sie zu aggregieren. Cloud-Computing bietet uns jetzt die Möglichkeit, Data-Lakes anzulegen und daraus die entsprechenden Erkenntnisse zu ziehen. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir sagen, dass die Bedeutung von Daten für die Unternehmenskommunikation wächst.
Als Kommunikatoren müssen wir uns weiter auf dramatischen Wandel einstellen. Wie sieht eine agile Organisation der Unternehmenskommunikation aus, die diesem Prozess gerecht wird? Wie bereiten sich PR-Fachleute am besten auf so ein Arbeitsfeld in dynamischem Wandel vor?
Zunächst einmal möchte ich eine Lanze für das gute alte Volontariat brechen, und zwar für das Volontariat in der Unternehmenskommunikation. Das bieten wir auch sehr erfolgreich seit vielen Jahren an. Allerdings haben sich die Ausbildungsinhalte im Laufe der Jahre ganz wesentlich verändert. Heute berücksichtigen wir eben genau solche Fragestellungen: Wie betreibt man beispielsweise datengetriebene Kommunikation. Jeder Volontär und jede Volontärin erlernt solche Fähigkeiten heute bei uns in der Ausbildung.
Was das Thema Agilität anbelangt: Ich glaube es ist keine Überraschung, wenn ich sage, dass der digitale Newsroom die Plattform ist, um genau diese Agilität abzubilden.
Schon klar. Aber wird eine Kommunikationsabteilung durch die Einrichtung eines Newsrooms automatisch agil?
Nein. Wenn ich nichts an den Prozessen ändere und nur ein Schild „Newsroom“ an die Tür hänge, dann bin ich dadurch nicht agil geworden. Da gehört schon mehr dazu. Wenn ich den Newsroom aber in erster Linie als Prozess verstehe und nicht als Ort mit schicken Screens, dann bin ich der Sache schon einen ordentlichen Schritt nähergekommen. Man muss Teamstrukturen, Rollen und Verantwortlichkeiten an eine solche neue Struktur anpassen. Die Agilität muss systemisch abgebildet werden – das ist die Aufgabe! Agilität hat etwas mit dem Verhalten von Menschen zu tun. Das muss man in einem solchen Kontext verändern. Das schafft man nicht, indem man ein Schild anbringt, und auch nicht durch Anweisung des Managements. Da braucht es eine Erkenntnis bei den Mitarbeitern, eine intrinsische Motivation, anders zu arbeiten.
Was das Thema Agilität anbelangt, sind wir wie viele andere Unternehmen auch auf einem Lernpfad. Ich würde nicht sagen, dass wir schon perfekt sind. Aber wir haben früh damit angefangen, uns damit zu beschäftigen, wie man sich organisatorisch und prozessmäßig auf die Herausforderungen der digitalen Kommunikation einstellt – früher als viele andere. Die Zahl der Kanäle explodiert, Zielgruppen werden immer fragmentierter, traditionelle Kanäle verlieren an Bedeutung, auch wenn sie immer noch da sind. All diese Entwicklungen muss man berücksichtigen. Die Wirksamkeit von Kommunikation hängt davon ab, in welchem Maße ich in der Lage bin, meine Themen in der richtigen Tonalität und zum richtigen Zeitpunkt an die Zielgruppe zu bringen.
Früher haben wir das vor allem mit Pressemitteilungen gemacht. Wenn es gut ging, hat dann ein fähiger Journalist daraus einen konsumierbaren Inhalt erstellt. Diese Aufgabe ist inzwischen nahezu komplett bei uns. Wir müssen aus den Themen „Snackable Content“ erzeugen und ihn in diese vielen Kanäle reinbringen. Das ist nur in einer agilen Struktur überhaupt möglich. Dadurch werden so ganz nebenbei auch die traditionellen Disziplinen und Silos überwunden. Wir haben keine interne Kommunikation mehr, keine Media Relations, keine Analyst Relations. Wir müssen all das heute aus der 360 Grad Verantwortung eines Themenverantwortlichen steuern.
Immer mehr Politiker und Vorstände haben die Hoffnung, durch die sozialen Medien an den klassischen Medien vorbei zu kommunizieren. Wie schätzt Du denn das Verhältnis von klassischen Medien und sozialen Medien ein?
Es ist ein Nebeneinander. Ich habe in den letzten Monaten den Eindruck gewonnen, dass wir den Schwerpunkt ein wenig zu sehr auf die sozialen Medien, auf Influencer und Owned Channels gelegt haben. Heute möchte ich die Balance wieder ein wenig besser herstellen – das haben wir uns zumindest für das kommende Geschäftsjahr als Ziel gesetzt.
Die traditionelle Medienarbeit hat nach wie vor ein hohes Gewicht. Wenn ich mit einem Thema durchdringen will, dann benötige ich Reichweite. Dazu brauche ich klassische Medien, idealerweise Fernsehen. Wenn man das aus dem Auge verliert, dann feiert man zwar seine Social-Media-Erfolge, erreicht aber möglicherweise in der Fläche zu wenig Menschen.
Aber Reichweiten sind es auch nicht allein. Soziale Medien haben eine gewisse Flüchtigkeit, wenn man wirklich eine Debatte anstoßen will, dann benötige ich nach wie vor die klassischen Medien. Ich brauche das „starke Meinungsstück“ um den Ausgangspunkt für eine Debatte zu schaffen Das ist mit Blogs oder Tweets nicht erreichbar. Uns gehört LinkedIn. Ich kenne das große Potential dieser Plattform sehr genau. Wir nützen sie auch mit großem Erfolg. Trotzdem glaube ich, dass man an den klassischen Medien nicht vorbeikommt, wenn man eine nachhaltige Debatte anstoßen will. Dass man die Themen dann in den sozialen Medien verlängern kann, ist keine Frage. Aber es kommt auf Ausgewogenheit an, auf die richtige Balance zwischen klassischen Medien und sozialen Medien.
Ein passendes Schlusswort! Vielen Dank für das spannende Gespräch.