Die Justiz braucht keinen Glamour.
Gerichts-PR bietet die ganze Palette von Sichtweisen
Interview mit Andrea Titz, Richterin am OLG München und Leiterin der Pressestelle
Im Jahr 2014 sind Sie quasi über Nacht zu einer Art Medienstar geworden – weit über die übliche Justizberichterstattung hinaus. Wie haben Sie das wahrgenommen und wie würden Sie diese Entwicklung im Rückblick bewerten?
2013 habe ich die Leitung der Pressestelle übernommen und wurde durch den NSU-Prozess sofort mit einer großen Öffentlichkeit konfrontiert. Dass sich das so auf meine Person konzentriert hat, kam etwas überraschend, ergab sich aber einfach aus der großen medialen Präsenz, die das NSU-Verfahren hatte. Das erwartet man als Richterin und Pressesprecherin am Oberlandesgericht nicht unbedingt.
Sie haben ja durchaus Glamour in eine sonst eher sachliche Branche gebracht. „Justitia trägt High-Heels“ schrieb etwa die Bild. Hat das Ihrer Arbeit eher geschadet oder genutzt?
Glamour braucht die Justiz nicht. Aber eine Person zu haben, die wahrgenommen wird, das ist für die Sache der Justiz sicherlich nicht schädlich. Das wesentliche ist aber, und das stand immer im Vordergrund, dass meine Arbeit richtig wahrgenommen wird. Wenn das mit der Begleitmusik verbunden ist: Das hat jetzt wieder die Pressesprecherin gesagt, die nicht im grauen Hosenanzug sondern im bunten Kleid oder mit auffälligen Schuhen auftritt, dann schadet das sicher nicht. Wäre der Tenor gewesen, dass ich zwar nichts kann, aber immer originell angezogen bin, dann wäre das eher misslich und kontraproduktiv gewesen. Aber so wurde es eben nicht gesehen. Im Großen und Ganzen hat das meiner Arbeit eher genutzt als geschadet.
Ich habe den Eindruck, dass das Interesse der Medien an Gerichtsprozessen in der letzten Dekade stark zugenommen hat. Der Gerichtssaal wird zu einer öffentlichen Arena. Nehmen Sie das aus Ihrer Perspektive auch so wahr?
Es ist richtig, dass die Berichterstattung über die Justiz ganz anders geworden ist. Ich denke schon, dass Prozesse, auch die großen Prozesse, vor 20 Jahren allenfalls eine kleine Randnotiz wert waren. Insofern hat die justizielle Medienarbeit ganz anders ausgesehen. Heute hat das Interesse der Medien stark zugenommen. Auch die Veröffentlichungswege und die Arbeitsmethoden sind anders geworden. Früher gab es die klassischen Print-Medien, Hörfunk und Fernsehen. Heute ist das Kerngeschäft deutlich in Richtung Online-Berichterstattung verschoben. Dementsprechend benötigen die Journalisten auch mehr, schnellere und vielfältigere Informationen, weil sie in den Medien und Kommunikationsformen, die sie bedienen, auch verschiedene Aufhänger brauchen. Insofern trügt der Eindruck nicht, dass das Interesse an der Justiz gewachsen ist.
Früher gab es bei jeder Regionalzeitung den Gerichtsreporter, der jede Woche zum Landgericht gegangen ist und über Prozesse berichtet hat. Die Zahl juristisch versierter Journalisten nimmt ab und die wenigen müssen sich um immer mehr Themen kümmern. Gleichzeitig nimmt die Komplexität der Fälle zu. Wird das langfristig nicht das Bild der Justiz in den Medien negativ beeinflussen?
Das ist in der Tat ein Problem. Zum einen wechseln die Ansprechpartner permanent. Nur noch wenige Medien, wie etwa die großen Rundfunkanstalten, können sich Redakteure leisten, die sich schwerpunktmäßig mit Justizberichterstattung beschäftigen. Die kennen dann die Abläufe besser. Zum anderen sind die juristischen Kenntnisse vieler Journalisten grundsätzlich nicht immer suffizient. Damit muss man natürlich umgehen und seine eigene Kommunikation immer wieder auf eine Ebene bringen, die auch verstanden wird. Da muss ich mich eben bemühen die Dinge auch dem Praktikanten oder Volontär verständlich zu machen – der ersichtlich nicht einmal versteht, wonach er fragen soll. Dafür habe ich übrigens großes Verständnis, denn der jeweilige Gesprächspartner kann auch nichts dafür, dass er von seiner Redaktion ohne Vorbereitung zu mir geschickt wurde. Ganz oft erlebe ich auch die Situation, dass ein Journalist das Mobiltelefon herauszieht, um mir Fragen vorzulesen, die ihm ein anderer vorher geschickt hat. Eine der häufigsten Fragen ist dann: Habe ich noch etwas vergessen? Sollten wir noch über etwas anderes sprechen? Das sehe ich dann auch als Chance, um einen Inhalt unterzubringen, den ich für das Verständnis des Falls für wichtig halte.
Werden Richter eigentlich von der öffentlichen Meinung beeinflusst?
Bei Verfahren wie etwa dem NSU-Prozess, die über Jahre in der Öffentlichkeit präsent sind, kann sich kein Richter davon frei machen, dass er die Berichterstattung zumindest wahrnimmt. Natürlich haben die Richter dann auch eine Meinung dazu. Damit professionell umzugehen und sich diese Einflussmöglichkeit bewusst zu machen, sich aber bei der Entscheidungsfindung davon frei zu machen, ist eine Aufgabe, die ein professioneller Richter können muss. Die Gefahr sehe ich dann, wenn ein Richter mir sagt: Das interessiert mich gar nicht, das ist mir völlig egal. Wenn ein Richter lege artis und mit der notwendigen Berufsethik an das Thema heran geht, kann er nicht behaupten, dass ihn die große öffentliche Wahrnehmung eines Falls völlig kalt lässt. Richter müssen sich diese äußeren Einflüsse immer wieder bewusst machen. Und ich denke schon, dass es auch die Gefahr unbewusster Beeinflussung gibt. Wenn ein Richter zum Beispiel über Monate hört und liest: „Das Schwein muss rein“, dann ist es schon nicht so ganz einfach, jemand „nur“ zu einer Bewährungsstrafe zu verurteilen, auch wenn es im konkreten Fall noch so sachgerecht sein mag. Umgekehrt besteht auch die Gefahr, dass ein Richter gerade das Gegenteil von der öffentlichen Erwartung macht, nach dem Motto: „Jetzt mach ich es erst recht anders, denn ich bin ein unabhängiger Geist“. Die Gefahr der Beeinflussung besteht also durchaus. Aber ein professioneller Richter muss das bewusst in seinen Entscheidungsprozess mit einbeziehen.
Auch Staatsanwälte gehen ja an die Öffentlichkeit – oft sehr zum Ärgernis meiner Mandanten, die dadurch in die Medien gezogen und oftmals schwer belastet werden. Da ist dann seitens der Anwälte schnell von einem Überschreiten der Kompetenzen die Rede. Sie waren ja auch Staatsanwältin. Wie nehmen sie den Kommunikationsdruck auf die Staatsanwaltschaft wahr?
Grundsätzlich ist die Staatsanwaltschaft in einer wesentlich schwierigeren Lage. Gerade während laufender Ermittlungen besteht ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit, dem der Staatsanwalt u.U. nachkommen muss, obwohl gerade in einem frühen Stadium das Verfahren ja noch ganz und gar nicht öffentlich ist. Da sind wir bei den Gerichten ja noch in der guten Lage, dass zu dem Zeitpunkt, ab dem wir kommunizieren, ohnehin das Verfahren schon öffentlich wahrgenommen wird. Die Staatsanwaltschaft muss abwägen, welche Kommunikation der Stand der Ermittlungen zulässt. Und sie muss prüfen: Wie stark sind die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen tangiert? Wie berechtigt ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit? Das ist eine schwierige Gratwanderung, und dabei werden auch manchmal falsche Entscheidungen getroffen. Sei es, dass zu viel gesagt wird, oder zu wenig. Allerdings ist man nach meinem Eindruck mit dem Vorwurf, die Staatsanwaltschaft wolle etwas unter den Teppich kehren oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens decken, viel schneller bei der Hand als umgekehrt.
Es gibt natürlich auch Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft überzogen hat, sei es aus einer momentanen Fehlentscheidung heraus, oder auch aus dem persönlichen Interesse, die Berichterstattung in eine bestimmte Richtung zu lenken. Ein Massenphänomen ist das nicht. Es scheint uns nur so, weil wir es an so spektakulären Fällen wie Zumwinkel, Edathy, Kachelmann oder Nadja Benaissa festmachen, die sich in der Erinnerung eingeprägt haben, und in denen dieser Vorwurf – ob berechtigt oder nicht – erhoben wurde. Die Staatsanwaltschaft München I hat pro Jahr eine sechsstellige Zahl von Ermittlungsverfahren. Wenn dann ganz selten einmal ein Fall dabei ist, von dem man sagen kann, da hätte man jetzt etwas anders kommunizieren müssen, kann man wirklich nicht von ständigen kommunikatorischen Fehlentscheidungen sprechen. Für die Betroffenen, die angeklagt werden, ist natürliche jede Kommunikation, in der sie vorkommen, unangemessen. Das liegt auch auf der Hand.
Die Reputation von Prominenten wird durch ein öffentliches Ermittlungsverfahren und einen öffentlichen Prozess oft schwer in Mitleidenschaft gezogen – egal wie das Urteil nachher aussieht. Was kann die Justiz tun, um sie zu schützen?
Für die Justiz heißt das ganz klar: Man muss im jeweiligen Verfahren sehr genau prüfen, wie stark der Angeklagte oder das Unternehmen betroffen ist von der Veröffentlichung von Einzelheiten über das Verfahren. Natürlich dürfen wir nicht mit zweierlei Maß messen. Aber es ist schon ein Unterschied, ob Lieschen Müller ohne jede öffentliche Wahrnehmung auf der Anklagebank sitzt, oder ob es sich um ein Verfahren mit enormer nationaler , vielleicht sogar internationaler Wahrnehmung handelt. Ein bekannter Manager muss vielleicht über einen langen Zeitraum immer wieder im Gerichtssaal Platz nehmen und sein Verfahren wird dabei immer wieder in aller Öffentlichkeit durchgehechelt. Da müssen wir uns in der Kommunikation und in der Betreuung des Verfahrens darum bemühen, dass wir Angeklagte oder auch Zeugen im Rahmen des rechtlich Möglichen entsprechend abschirmen. Es geht schließlich auch darum, die allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten zu schützen, indem man sie eben nicht einem Spießrutenlauf durchs Blitzlichtgewitter aussetzt – um nur ein Beispiel zu nennen. Das sehe ich durchaus als Aufgabe des Gerichts.
Soziale Medien gewinnen auch für die Justizkommunikation an Bedeutung. Wie gehen Sie denn damit um?
Das ist ein ganz wesentliches Thema, dem wir uns als Justiz allerdings wohl erst in den nächsten Jahren stellen können. Es gibt mittlerweile erste Pioniere, wie etwa die Staatsanwaltschaft Ingolstadt, die über Twitter kommuniziert oder die verschiedenen bayerischen Polizeipräsidien, die ja seit geraumer Zeit sehr erfolgreich twittern. Wir arbeiten daran, dass wir das auch konzeptionell voran bringen, zumal wir die Print-Kommunikation ja nicht eins zu eins in die sozialen Medien übertragen können. Dazu brauchen wir einen anderen Auftritt, anders aufbereitete Informationen – nicht zuletzt auch mehr Ressourcen.
Ich denke, dass wir uns dem nicht entziehen können. Mehr als 30% der unter 25 Jährigen beziehen ihre Informationen ausschließlich aus den sozialen Medien. Die lesen nicht einmal mehr Online-Nachrichten. Die einzige Kommunikationsquelle ist für sie die Echokammer, in der sie sich selbst befinden. Wenn wir unsere Informationen nicht in den sozialen Medien verbreiten, dann werden wir irgendwann nicht mehr wahrgenommen – man redet nur noch über uns, aber nicht mehr mit uns.
Sie sind ja bekannt dafür, dass Sie auch gemeinsame Pressekonferenzen mit den Anwälten der Gegenseite geben. Wie sind Ihre Erfahrungen damit? Sollten die Parteien in der Kommunikation sich vielleicht grundsätzlich stärker abstimmen?
Man sollte sich unbedingt mehr abstimmen! Ich empfinde da keinerlei Gegnerschaft, höchstens unterschiedliche Interessen. Natürlich ist das kommunikative Interesse eines Angeklagten und seiner Berater ein anderes als meines. Aber Absprachen sind völlig sinnvoll. Journalisten sind ja auch dankbar, wenn sie umfassende Informationen aus verschiedenen Perspektiven bekommen. Und da ist es gut, wenn ich weiß, ob, wann und worüber die Angeklagten die Öffentlichkeit informieren wollen.
Als Sprecher des Gerichts stehen wir sowieso nicht in Opposition zu den Angeklagten. Aber auch mit der Staatsanwaltschaft macht es immer Sinn, sich abzustimmen. Ich bin immer dankbar, wenn ein Pressesprecher der Staatsanwaltschaft bei Verfahren mit dabei ist. Die Rollen sind selbstverständlich unterschiedlich, aber dementsprechend können auch die Informationen breiter sein, die wir anbieten. Es ist umso besser für die Justiz, wenn der journalistische Beitrag die ganze Paletten von Sichtweisen abdeckt.
Andrea Titz war zur Zeit des Interviews noch Richterin in einem Strafsenat des Oberlandesgerichts München und Leiterin der Pressestelle des OLG München sowie der LG München I und II in Strafsachen. Durch ihre kontinuierliche Berichterstattung über große Prozesse wie Hoeneß, NSU oder Ecclestone wurde sie einem großen Publikum bekannt. Andrea Titz ist zudem Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins e.V. Mit Wirkung zum 1. Juni 2017 wurde sie zur Direktorin des Amtsgerichts Wolfratshausen berufen und gab ihre Funktionen in München ab