AUFSICHTRATSKOMMUNIKATION IM WANDEL
Spielregeln für eine neue Kultur der Kommunikation
Aufsichtsräte gelten in Deutschland als Graue Eminenzen, Strippenzieher der Macht über die man wenig weiß – auch weil sie in der Unternehmenskommunikation kaum vorkommen. Journalisten reißen sich um Kontakte zu Aufsichtsräten. Vom Hintergrundgespräch mit einem AR versprechen sie sich Insider-Wissen und Innenansichten der Macht. Aber explizite Medienauftritte sind selten – und das ist auch richtig so. Kommunikation ist allerdings viel mehr als Medienarbeit, und das ist vielen nicht bewusst. Eine Kultur kommunizierender Aufsichtsräte gibt es nicht. Das muss nicht so sein. In anderen Ländern sieht das anders aus – zum Beispiel in der Schweiz.
Ich sprach über das Thema mit Dr. Mirjam Teitler, Anwältin und Multiaufsichtsrätin in Zürich.
Frau Teitler, liebe Mirjam, du bist als Verwaltungsrätin in verschiedenen Schweizer Unternehmen tätig und hast dort auch schon einige Krisen miterlebt. Wie schätzt du Möglichkeiten für die Kommunikation von Aufsichts- und Verwaltungsräten ein und wo liegen die Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz?
Zunächst einmal: Über einzelne Sachverhalte aus meiner Tätigkeit als Verwaltungsrätin kann und darf ich nichts bekanntgeben. Ich kann jedoch über meine allgemeinen Erkenntnisse als Verwaltungsrätin wie auch als Medienanwältin an der Schnittstelle zwischen Leitungs- und Kommunikationsverantwortung gerne berichten.
Was den Verwaltungsrat in der Schweiz anbelangt, so kann man ihn nicht ohne Weiteres mit dem Aufsichtsrat in Deutschland und Österreich gleichsetzen. Im Gegensatz zum deutschen Aufsichtsrat ist der Verwaltungsrat nicht nur ein Aufsichtsorgan, sondern gleichzeitig für die Oberleitung der Gesellschaft verantwortlich. Während in Deutschland das dualistische Two-Tier-Modell vorherrscht, folgt die Schweiz eher dem internationalen Modell des monistischen Systems. Bei diesem System wird die Geschäftsleitung nicht institutionell von der Überwachung getrennt.
In Deutschland ist es üblich, dass sich die Aufsichtsräte in der Regel sehr zurückhalten und kaum in Erscheinung treten. Ist das in der Schweiz anders?
Ich würde sagen, dass es grundsätzlich ähnlich ist. In der Schweiz gibt es allerdings Situationen, in denen ein Verwaltungsrat aktiver in Erscheinung tritt als in Deutschland und dies von der Öffentlichkeit auch so erwartet wird. Wie erwähnt, ist der Verwaltungsrat schließlich auch das oberste Steuerungsorgan. Ob Kommunikation vom Verwaltungsrat, der Geschäftsleitung oder der Kommunikationsabteilung ausgeht, ist nicht vorgeschrieben.
Vor allem in der Krise kann dem Verwaltungsrat eine besondere Rolle zukommen. Wenn ein Unternehmen ins Trudeln gerät, ist es bedeutsam, dass es in der Öffentlichkeit ein Gesicht gibt, das Ruhe, Kontinuität und Führungsstärke ausstrahlt. In der Regel wird das der CEO sein.
Es gibt jedoch Momente, in denen dies gar nicht möglich ist: Betrachten wir das Beispiel der Swiss – unserem National Flag-Carrier. Mitten in der Pandemie hat der CEO der Swiss sprichwörtlich den Hut genommen. Er hatte dem Verwaltungsrat bereits Monate zuvor angekündigt, dass er sich innert einer gewissen Frist ins Privatleben zurückziehen wolle. Nach dieser Ankündigung hat der Verwaltungsrat die Nachfolgeplanung aber nicht rechtzeitig eingeleitet. Dann kam die Pandemie. Es startete kein Flugzeug mehr und der CEO „ging von Bord“, ohne eine Nachfolgeregelung. Die Flieger waren am Boden und das Unternehmen im luftleeren Raum. An dieser Stelle hätte ich mir vom Verwaltungsrat ein aktiveres Krisenmanagement gewünscht – auch was die Kommunikation anbelangt.
Wenn hier in Deutschland einmal, was selten vorkommt, eine der grauen Eminenzen aus den großen Aufsichtsräten ein Interview in großen überregionalen Medien gibt, dann kommt das oft als Kritik oder Herabsetzung des jeweiligen Topmanagements an. Ist hier nicht Vorsicht geboten?
Absolut. Dass ein Verwaltungsrat oder ein Aufsichtsrat eine Parallelkommunikation zum CEO in den Medien führt, wäre kontraproduktiv. Für Aufsichtsräte und Verwaltungsräte ist es ratsam, nur mit der gebotenen Umsicht nach außen zu kommunizieren. Das gilt insbesondere auch für die sozialen Medien, wo Verwaltungsräte, meiner Meinung nach, nicht aktiv präsent sein sollten. Diese Form der Kommunikation kann Personen und Unternehmen in heikle Situationen bringen. Schließlich werden teils komplexe Sachverhalte in wenigen Zeilen dargelegt, was Missverständnisse fördern kann, oder persönliche Meinungsäußerungen werden als offizielle Statements des Unternehmens wahrgenommen.
Es gibt aber eine Reihe von Aufgaben, bei denen ein Verwaltungs- oder Aufsichtsratsvorsitzender kommunikativ aktiv werden sollte. Es kann beispielsweise eine starke Wirkung haben, wenn Verwaltungsräte das Unternehmen bei der internen Kommunikation unterstützen. Dies schafft einerseits Nähe und Vertrauen zur obersten Führungsriege und anderseits stärkt es die Geschäftsleitung.
Wenn man über Kommunikation spricht, denkt man häufig an Medienarbeit. Dabei ist Kommunikation ein sehr viel weiteres Handlungs- und Aufgabenfeld – wenn man zum Beispiel an Stakeholder Dialoge denkt. Wo kann und wo muss ein Verwaltungs-/Aufsichtsrat aktiv sein?
Gerade nach innen sollten Verwaltungsräte präsent und ansprechbar sein, – sowohl virtuell als auch physisch. Hie und da wird kritisiert, Aufsichtsräte seien realitätsfremd. Um dies zu vermeiden, braucht es Nähe zu den Menschen im Unternehmen. Ich höre erfreulicherweise immer wieder von Aufsichtsräten in internationalen Konzernen, die regelmäßig in den Produktionsstätten und Verkaufspunkten rund um den Globus präsent sind und sich von lokalen Teams die Prozesse zeigen lassen – selbst während der Pandemie. Auf diese Weise lernt der Aufsichtsrat etwas über die Unternehmenskultur, über die Art, wie die Produkte hergestellt werden und verschafft sich Respekt bei den Mitarbeitenden.
Wie müsste sich ein Aufsichtsrat eigentlich auf eine Krisensituation vorbereiten? Welche kommunikativen Grundkenntnisse müsste er haben?
Ich denke, dass es dabei gar nicht so sehr um das Erlernen von klassischen Instrumenten wie das Erstellen von Pressemitteilungen oder den Umgang mit Artikeln geht. Es beginnt damit, dass ein Aufsichtsrat ein Gefühl dafür hat, wie er nach außen wirkt und wie er diese Außenwirkung aktiv gestalten und nutzen kann.
Gerade in einer Krise ist es wichtig, dass man sich bewusst macht, was vorgefallen ist. Die Analyse des Problems ist der Beginn eines konstruktiven Krisenmanagements sowohl in der Sache als auch in der Kommunikation.
Fehler unterlaufen uns allen – irren ist menschlich. Was die Öffentlichkeit aber ärgert, ist, wenn sie für dumm verkauft wird, die Verfehlungen nur häppchenweise kommuniziert werden und wenn es keine erkennbare Problemlösungsstrategie gibt.
Oft wird der Verwaltungs- oder Aufsichtsrat die Krisenkommunikation nicht selbst gestalten. Er ist aber dafür verantwortlich, dass die richtigen Berater hinzugezogen werden. Überdies trägt er letztendlich Verantwortung für die Öffentlichkeitsarbeit und muss daher die strategischen Ziele vorgeben. Kommunikationsberater können die Entscheidungsträger unterstützen, Leitplanken und Taktiken zu erarbeiten, die eine glaubhafte und interessenwahrende Kommunikation ermöglichen. Schließlich muss es einen Mittelweg zwischen Mea-Culpa und Salami-Taktik geben – und dazu können gute Kommunikationsberater viel beitragen.
Das Interview führte Armin Sieber