Manager in der Krise:
Asset Protection im Kontext der strengen Organhaftung
Gastbeitrag von Burkhard Fassbach, erschienen am 21.12.2020
Am 28.September traf sich eine hochkarätige Teilnehmerrunde aus Kommunikationsprofis und Münchner Top-Anwälten im Münchner Büro von Sieber Senior Advisors zum Round-Table-Gespräch. Gemeinsam diskutierten wir über Chancen und Grenzen einer Krisenkommunikation für Manager im Rechtsstreit. Ein Höhepunkt war die Incite Speech von Dr. Burkhard Fassbach vom Anwaltsnetzwerk des D&O Spezialisten Hendricks & Partner. Für Kommunikationsberater ist wichtig: Gute D&O Policen decken auch die Kosten für Reputationsschutz. Aber das ist längst nicht das einzige Problem. Fassbach fasst seine kontrovers diskutierten Thesen zur Managerhaftung noch einmal in einem Gastbeitrag zusammen. Er betrachtet dabei insbesondere das Risiko eines totalen Vermögensverlusts für Manager. D&O Versicherungen seien ein wichtiger aber längst nicht mehr der einzige Baustein, wenn sich Manager vor drohendem Reputationsverlust und Zugriff auf Ihr Vermögen schützen wollen.
Pflichtvergessene Organwalter haften bereits bei leichter Fahrlässigkeit unbegrenzt mit ihrem Privatvermögen. De lege ferenda hatte der Deutsche Juristentag mit großer Mehrheit eine am Kern dieses Problems ansetzende Lösung empfohlen: Der Gesetzgeber sollte zulassen, dass die aktienrechtliche Innenhaftung der Organmitglieder durch die Satzung begrenzt wird, indem die Haftung für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen wird und / oder Haftungshöchstgrenzen eingeführt werden. (Vgl.: Beschlüsse der Abt. Wirtschaftsrecht in: Vhdlg. des 70. DJT, 2014, Bd. II/2, S. N61 f.). Eine Reform der Organhaftung steht allerdings in absehbarer Zeit nicht auf der politischen Agenda. Fraglich ist auch, ob die Rechtsprechung den überzogenen Haftungsmaßstab korrigiert und in Anlehnung an die im Arbeitsrecht entwickelten Grundsätze zur begrenzten Haftung von Arbeitnehmern bei „betriebsbedingten“ schadenstiftenden Handlungen eine entsprechende Haftungsmilderung für Organmitglieder im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung erreichen kann. (Vgl.: Hoffmann-Becking, Sinn und Unsinn der D&O-Versicherung, ZHR 181 (2017) 737–745 m.w.N. in Fn. 34)
Drei Schutzwälle gegen die strenge Organhaftung: Corporate Compliance – D&O-Versicherung – Asset Protection
Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte können proaktiv drei Schutzwälle gegen die Gefahr des totalen Verlusts des Privatvermögens bis zur Pfändungsfreigrenze errichten.
First Line of Defense: Corporate Compliance
Erste Verteidigungslinie ist die Prävention. Amtierende Geschäftsleiter müssen als Ausfluss der Legalitätspflicht ein wirksames Compliance-Management-System (CMS) einrichten. Die Einrichtung eines CMS (die Frage des “Ob”) ist eine Legalitätspflicht. Die Frage der konkreten Ausgestaltung des CMS (die Frage des “Wie”) fällt in den Anwendungsbereich der Business Judgment Rule. (Vgl.: Michaela Balke / Karen Klein, Vorstandshaftung für fehlerhafte Ausrichtung der Compliance-Organisation, ZIP 2017, S. 2038 ff.) Richtungsweisend ist der vom Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) aufgestellte Standard zur Prüfung eines CMS (IDW PS 980). Mit Hilfe dieses Standards wird beurteilt, ob das eingerichtete CMS geeignet ist, um mit hinreichender Sicherheit, Risiken für wesentliche Regelverstöße zu erkennen und auch solche Regelverstöße zu verhindern (Angemessenheitsprüfung) und ob das CMS in einem bestimmten Zeitraum wirksam war (Wirksamkeitsprüfung). (Vgl.: Frank Hülsberg und Jens Laue, Die Prüfung von Compliance Management-Systemen nach IDW PS 980, in: Inderst/Bannenberg/Poppe, Compliance, 3. Auflage, Heidelberg 2017)
“In eigener Sache” handelt es sich bei der Einrichtung eines CMS zugleich um eine “Strategic Defense Initiative” der darlegungs- und beweislastpflichtigen Organwalter gegen den Vorwurf unzureichender Compliance Bemühungen in einem zukünftigen Haftungsprozess. Compliance-Verstöße befinden sich nach Angaben des D&O-Versicherers Allianz Global Corporate & Specialty SE an erster Rangstelle der D&O Schadenthemen in Deutschland in dem Zeitraum 2016 bis 2018. (Vgl.: 11. AGCS Fachforum Financial Lines am 23. Mai 2019 in Frankfurt am Main). Beispielhaft wird auf den Wortlaut einer Pressemitteilung der Bilfinger SE vom 20. Februar 2018 verwiesen:
“…Der Aufsichtsrat der Bilfinger SE hat in seiner heutigen Sitzung beschlossen, Schadensersatzansprüche gegen ehemalige Vorstandsmitglieder der Gesellschaft geltend zu machen…Der Aufsichtsrat hat diese Entscheidung auf Basis der jetzt vorliegenden Ergebnisse seiner im März 2016 eingeleiteten Untersuchung getroffen…Den ehemaligen Vorstandsmitgliedern werden Pflichtverletzungen bei der Implementierung eines ordnungsgemäßen Compliance-Management- Systems vorgeworfen…”
Existenzgefährdend sind für die Organwalter nicht nur Regresse von gegen das Unternehmen gerichteten exorbitanten Geldbußen. Auch die der Gesellschaft durch interne Untersuchungen entstandenen internen und externen Beratungskosten sind grundsätzlich im Rahmen der Vorstandshaftung nach § 93 Absatz AktG ersatzfähig. Pflichtvergessene Vorstandsmitglieder haben die Untersuchungskosten sowie die Kosten sonstiger Rechtsberatung in diesem Zusammenhang regelmäßig auch kausal und zurechenbar verursacht. Dies gilt sowohl für eigenes aktives pflichtwidriges Verhalten als auch bei Unterlassen, etwa in Form der Einrichtung einer mangelhaften Compliance- Organisation. (Vgl.: Cäcilie Lüneborg und André Pierre Resch: Die Ersatzfähigkeit von Kosten interner Ermittlungen und sonstiger Rechtsberatung im Rahmen der Organhaftung, NZG 6/2018, S. 209-217)
Second Line of Defense: D&O-Versicherung
Eine Schadenersatzklage ruft die D&O-Versicherung als “Second Line of Defense” auf den Plan. Das zentrale Leistungsversprechen der D&O-Police ist die Abwehr unberechtigter Ansprüche. Sollten sich diese im Wege der gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Haftungsfeststellung als begründet erweisen, haben die Organwalter als Versicherte einen Anspruch auf Freistellung von solchen Ansprüchen. In der Praxis ist ein Trend zur persönlichen D&O-Versicherung festzustellen, die der Manager auf eigene Rechnung abschliesst. Als private Tresor-Police weckt eine solche private D&O-Versicherung auch keine Begehrlichkeiten nach dem Motto “Insurance breeds claims”.
Michael Hendricks hat auf mindestens zehn gute Gründe, die für den D&O-Versicherungsschutz auf eigene Rechnung sprechen, hingewiesen. (Vgl.: Michael Hendricks: D&O-Versicherung auf eigene Rechnung – Versicherungspraxis 6 / 2016, S. 20 – 22) Die fünf praxisrelevantesten Gründe sind:
1. Am ehesten verständlich ist der Supergau mit Verbrauch der D&O-Deckungssumme. Wenn in früheren Jahren die Klagen des Aufsichtsrates gegen den Vorstand oder der Gesellschafter gegen die Geschäftsleitung zumeist der Höhe der Deckungssumme entsprachen, so sehen wir heute vermehrt Klagen, die die Deckungssummen mitunter deutlich übersteigen. Mehrfachmaximierungen sind noch selten, so dass mit Verbrauch der Jahreshöchstleistung kaum noch Schutz geboten werden kann. Besonders Geschäftsführer aus Unternehmen mit zahlreichen Tochtergesellschaften erkennen das Problem und sorgen vor mit individuellen D&O-Policen.
2. Wenn bereits angenommen werden muss, dass die Deckungssumme nicht genügen könnte, werden Versicherer ein Verteilungsverfahren einleiten. Dann steht zu befürchten, dass selbst für Abwehrkosten nur partiell entschädigt werden kann. Und allein schon Abwehrkosten können ruinieren.
3. Abhängig von Branchen und Unternehmensgrößen werden zunehmend Deckungsausschlüsse in die D&O-Versicherung genommen. Größte Verbreitung findet die Zurückhaltung der Versicherer bei Schadenersatzansprüchen aus Korruptions- und Kartellverfahren. Gerade bei schadenbelasteten Policen ist der Verhandlungsweg mit dem Versicherer fast abgeschnitten. Persönliche Deckungen hingegen sind insoweit ausschlussfrei, in der Regel jedenfalls.
4. Wird beim Abschluss der D&O-Versicherung im Antrag Erhebliches verschwiegen, dann steht die Anfechtung des Versicherungsvertrages in Rede. Selbst wenn der Anfechtungsverzicht im Dokument erscheint, so ist die Wirksamkeit eher zweifelhaft. So kann es durchaus denkbar sein, dass auch Versicherte in gutem Glauben ihren Schutz verlieren.
5. D&O-Verfahren gehen über Jahre. Verklagt der Aufsichtsrat ganz pflichtgemäß den Vorstand, dann liegt die beste Verteidigung im Angriff. Das Zauberwort heißt Streitverkündung. Die Kosten explodieren und die Erschöpfung der Deckungssumme muss befürchtet werden. (Vgl.: Burkhard Fassbach und Frank Hülsberg, Die D&O-Versicherung im Konfliktpotential des Two-Tier Board Systems, Compliance Berater (CB) 2018, Heft 05-06, S. 186-188)
Eine persönliche D&O-Police muss auch Deckungsschutz bieten für die gesetzliche Selbstbeteiligung nach § 93 Absatz 2 Satz 3 AktG: “Schließt die Gesellschaft eine Versicherung zur Absicherung eines Vorstandsmitglieds gegen Risiken aus dessen beruflicher Tätigkeit für die Gesellschaft ab, ist ein Selbstbehalt von mindestens 10 Prozent des Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds vorzusehen.”
Daneben ergeben sich für das Privatvermögen der Betroffenen Gefahren aus den sogenannten übergesetzlichen / vertraglichen Eigenbeteiligungen, welche mittlerweile Eingang in die D&O-Schadenregulierungspraxis gefunden haben. Hierzu als Praxisbeispiel ein Auszug aus der Vergleichsvereinbarung zwischen der Siemens Aktiengesellschaft und Herrn Prof. Dr. Heinrich von Pierer:
“…Herr Prof. Dr. von Pierer verpflichtet sich zu einer Leistung an die Gesellschaft… Er übernimmt diese Leistungspflicht ohne Anerkennung einer Rechtspflicht oder Setzung eines Präjudizes. Mit ihr verbindet sich insbesondere kein Anerkenntnis einer Schadensersatzpflicht und kein Anerkenntnis der seitens der Gesellschaft Herrn Prof. Dr. von Pierer zur Last gelegten Pflichtverletzungen….Die Höhe der Leistung beträgt EUR 5.000.000 (in Worten: fünf Millionen Euro). Sie wird unabhängig von der Höhe der Leistungen anderer ehemaliger Organmitglieder und der Leistungen der D&O-Versicherer geschuldet…”
(Vgl.: Einladung zur Hauptversammlung der Siemens AG am 26. Januar 2010, Anlage 6 – Vergleich mit Herrn Prof. Dr. Heinrich v. Pierer: https://www.siemens.com/investor/pool/de/investor_relations/events/hauptversammlung/2010/einladung_hv2010_d.pdf)
Die persönliche D&O-Versicherung sollte die gesetzliche Selbstbeteiligung nach § 93 Absatz 2 Satz 3 AktG sowie die außergesetzlichen Selbstbehalte im Rahmen von Vergleichen decken. Die Deckungssumme sollte das 1,5-fache der Jahresbruttovergütung zusätzlich des verfügbaren Privatvermögen betragen.
Nur blauäugige Manager vertrauen beim Schutz ihres Privatvermögens allein auf die D&O-Versicherung des Unternehmens und schließen auf eigene Rechnung D&O-Policen ab.
Third Line of Defense: Asset Protection durch zivilrechtliche Gestaltungen
“Fels in der Brandung” ist als äußerer Verteidigungsring der Schutz des Privatvermögens vor persönlicher Haftung des Vermögensinhabers durch hierfür geeignete Gestaltungsmöglichkeiten (Asset Protection). Ziel solcher Gestaltungen ist es, das Privatvermögen vor dem Zugriff von Gläubigern zu schützen. Die Haftungsmasse wird eigentumsmäßig vom ursprünglichen, haftungsgefährdeten Inhaber abgetrennt. Dabei gilt es zivil-, vollstreckungs- und steuerrechtliche Gesichtspunkte der Gestaltungen zu berücksichtigen. In der Praxis verbreitet sind insbesondere Güterstandsschaukeln, inländische Familienstiftungen, ausländische Rechtsträger, lebenslange Wohnrechte und Gestaltungen zur Vermeidung eines pfändbaren Vermögensanfalls. (Vgl. grundlegend: Christian von Oertzen und Gerrit Ponath, Asset Protection im deutschen Recht, 3. Auflage 2018)
Mit der Planung einer rechtlich einwandfreien Asset Protection sollte rechtzeitig begonnen werden und nicht erst in der Krise. Im Kontext der Organhaftung also am besten spätestens im Zeitpunkt des Amtsantritts und nicht erst im Zeitpunkt der Einleitung interner Untersuchungen oder Klageerhebungen. Denn dann droht die Anfechtung der Vermögensübertragung. Die Gläubigeranfechtung hat auch außerhalb des Insolvenzverfahrens nach wie vor erhebliche Bedeutung in der Praxis. Mit ihr kann ein Gläubiger unentgeltlichen oder böswilligen Vermögensverschiebungen seines Schuldners begegnen und sich in Ergänzung des Vollstreckungsrechts den Zugriff auf dessen Vermögen sichern.
Eine Bankrottstrafbarkeit mit Freiheitsstrafe droht demjenigen, der bei Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit Bestandteile seines Vermögens, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören, beiseite schafft oder verheimlicht. Kurz vor dem Insolvenzantrag seines Drogerieimperiums ließ Anton Schlecker noch sieben Millionen Euro an die Logistikfirma seiner Kinder Lars und Meike zahlen. Die zogen das Geld noch am selben Tag ab. Die Kinder wurden wegen Bankrott und Beihilfe zum Bankrott ihres Vaters zu Haftstrafen verurteilt. (Vgl.: Henryk Hielscher, SCHLECKER – „Von besonders großer Geldgier geprägt“, Wirtschaftswoche vom 26. Juli 2018)
Der besonders hartgesottene Schuldner ist in Deutschland “arm wie eine Kirchenmaus” und im Ausland “Millionär”. So garantieren beispielsweise Gestaltungen mit einer Liechtensteiner Stiftung Vollstreckungsschutz. Liechtenstein erkennt keine ausländischen, vollstreckbaren Urteile an. Der Erwerb von Staatsbürgerschaften durch Investitionen, sogenannte CBI “Citizenship by Investment” Programme runden diese Art der internationalen Asset Protection ab. Neben den traditionellen CBI Jurisdiktionen in der Karibik bieten in Europa Zypern und Malta CBI Programme an. Beim Erwerb der Staatsbürgerschaften akzeptieren einzelne Länder neuerdings sogar auch Bitcoins. (Vgl.: James McKay, THE 2018 CBI INDEX, a publication from the Financial Times, abrufbar unter: http://cbiindex.com)
Fazit und Appell
Angesichts der hier vorgestellten Probleme möchte ich diesen Gastbeitrag mit einem dringenden Appell beschließen: Der Gesetzgeber sollte die Reform der Organhaftung in Angriff nehmen. Am besten können sich Unternehmen und Manager mit wirksamen Compliance-Management-Systemen vor Haftung schützen. Es gilt die Pflichtentrias: Aufklären, Abstellen, Ahnden. Die Bedeutung von Compliance wird durch das von der Bundesregierung geplante Verbandssanktionengesetz weiter zunehmen.