REPUTATION IST FÜR AUFSICHTSRÄTE
SO WICHTIG WIE DIE GESUNDHEIT
Interview mit Dr. Viktoria Kickinger, Aufsichtsrätin und Geschäftsführerin des Directors Channels.
Aufsichtsräte gelten als geheime Machtzentren der Wirtschaft. Die Regeln für die Arbeit der Aufseher nehmen allerdings immer mehr zu – und damit auch die Haftungsrisiken. Manch einer findet sich unverhofft und unverschuldet in einer öffentlichen Schlammschlacht um unterlassene Aufsichtspflichten wieder und muss aufgrund von öffentlicher Vorverurteilung um seine Reputation fürchten. Mit Viktoria Kickinger sprach ich über die Informations- und Kommunikationsbedürfnisse von Aufsichtsräten und was Litigation PR in Rechtsstreitigkeiten leisten kann, um die Reputation in der Öffentlichkeit zu schützen.
Frau Dr. Kickinger: Vor vier Jahren haben Sie den Director’s Channel gegründet. Warum sollen sich Aufsichtsräte Videobeiträge im Internet anschauen?
Weil Aufsichtsräte ein enormes Informationsbedürfnis haben. Es ändert sich ständig so viel. Brüssel hört ja nicht auf, die Governance zu regulieren. Es kommt eine neue Vorschrift nach der andern. Aufsichtsräte wollen sich kurz und bündig darüber informieren. Genau das bietet der Director’s Channel: Kurze, inhaltlich sehr hochwertige Filme. Wir sind ein reiner Informationssender für Aufsichtsräte, denn die wollen sich nicht in aufwändige, tagelange Seminare setzen voller informativer Redundanz. Insofern ist ein themenbezogener, Informationssender der optimale Kanal zur Informationsvermittlung.
Wie wird man Aufsichtsrat? Was muss man wissen, wenn man zum Aufsichtsrat berufen wird?
Jeder Manager hat vermutlich schon einmal einen Aufsichtsrat in seinem beruflichen Umfeld erlebt. Er weiß daher in der Regel, was dort gut läuft und was weniger. Man sollte sich darüber hinaus, wenn man in die engere Auswahl kommt, intensiv mit den Rechten und Pflichten auseinandersetzen. Dazu gibt es eine große Vielfalt an Literatur und auch der Director’s Channel stellt eine gute Informationsquelle dar. Vor allem sollte man sich aber vorher mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden des zukünftigen Unternehmens lange und intensiv unterhalten, was die eigene Rolle in diesem Gremium sein soll.
Wie wird man Aufsichtsrat? Nicht über Personalberater. Die werden auch relativ selten damit beauftragt. Man wird Aufsichtsrat dadurch, dass man auf sich aufmerksam macht, etwa indem man strategisch vernünftige Dinge von sich gibt. Man kann dabei durchaus auch Interesse zeigen, auch Verantwortung zu übernehmen – es hilft, wenn man da und dort fallen lässt, dass man sich auch mit einer entsprechenden Anfrage näher beschäftigen würde. Es ist wie bei den Gesellschaftsclubs (Rotary, Lions, Freimaurer). Auch da geht man nicht einfach hin und sagt: Schaut her, hier bin ich. Es ist schon so, dass man aufzeigt und auf sich aufmerksam macht. Dann muss aber auch gefragt werden.
Allerdings bemerke ich auch hier eine Veränderung: Es gibt immer mehr Fälle, in denen sich Personen direkt an ein Unternehmen gewendet haben unter Verweis auf bestimmte spezifische Fachkenntnisse: Und sie sind dann durchaus auch zu einem Gespräch eingeladen worden.
In bestimmten Branchen scheint es doch schwierig zu sein, gute Aufsichtsräte zu finden. Auch Frauen sind in solchen Kontrollorganen noch unterrepräsentiert.
Das ist wohl wahr. Gerade bei Frauen ist es nach wie vor nicht selbstverständlich, dass sie aufgrund von Kompetenzfaktoren berufen werden. Sie sollten aus mächtigen Familien kommen, mächtige Unternehmen besitzen, mächtige Männer haben oder sonst eine Machtposition inne haben. Aber eine Berufung rein aufgrund ihrer Qualifikation ist noch eher die Ausnahme. Da befindet sich die Entwicklung leider noch am Anfang – hier muss sich noch einiges verändern.
Welche Risiken geht man ein, wenn man Aufsichtsrat wird?
Man geht mit dem ersten Tag ein großes Risiko ein, da es sich bei einem Aufsichtsrat um ein Kollegialorgan handelt mit erheblichen Befugnissen – aber eben auch erheblicher Verantwortung. Wenn man sich nicht richtig vorbereitet oder über entsprechende Erfahrung verfügt, dann ist man schon ziemlich gefährdet. Wenn man eine solche Aufgabe übernehmen will, dann muss man sich entsprechend vorbereiten, wie man sich etwa auch auf einen Marathonlauf vorbereitet.
Das wichtigste ist die umfassende Beschäftigung mit dem Thema. Man sollte nicht nur reingehen und sich berieseln lassen, sondern sich auf jede Sitzung intensiv vorbereiten und umfassend mit den diskutierten Themen beschäftigen. Man sollte sich eine klare Meinung bilden, und dazu kann man sich auch Unterstützung holen: Man kann die interne Revision befragen, das externe Audit bemühen, man kann Gutachter befragen – es gibt da viele Möglichkeiten.
Vor allem aber gilt es, das alles auch schriftlich zu dokumentieren. Es nützt nichts, wenn man sagt: Ich bin dafür oder dagegen. Es muss auch begründet im Protokoll stehen. Wenn es zu einem Prozess kommt, zu einem Rufschaden, dann kann der Richter nur das glauben, was im Protokoll steht. Man selbst vergisst ja auch, was man gesagt hat. Darum ist die umfassende Protokollierung das A und O gerade in einem Unternehmen, das sich in einer kritischen Situation befindet.
Verantwortung und Risiken sind also erheblich, aber keiner wird gezwungen. Nach wie vor reißen sich viele drum, Aufsichtsrat zu werden. Mich hat sogar mal jemand gefragt: Was muss ich bezahlen, damit ich Aufsichtsrat werde.
In den vergangenen Jahren werden immer mehr Manager wegen Pflichtverletzungen in Anspruch genommen. Auch gegen Aufsichtsräte wird immer häufiger geklagt. Was verändert sich hier?
Dass Aufsichtsräte in Anspruch genommen werden, nimmt in der Praxis tatsächlich zu. Aufsichtsräte sind inzwischen aktienrechtlich verpflichtet, Ansprüche gegen ehemalige Manager geltend zu machen, sonst machen sie sich selbst haftbar. Auch die Governance-Regeln werden immer komplexer. Das führt mitunter zu umfassenden Rechtsauseinandersetzungen um die Managerhaftung. Dabei kann es schnell zu Widerklagen kommen und plötzlich finden sich die Aufsichtsräte nicht nur juristisch, sondern auch öffentlich in umfassenden und mitunter unangenehmen Auseinandersetzungen wieder.
Sie hätten keine Klienten aus diesem Bereich, wenn es nicht so wäre. Ich glaube aber nicht, dass diese Fälle prozentual eine große Rolle spielen. Die breite Debatte verstehe ich auch eher als eine Keule, die geschwungen wird, um ein wenig Druck aufzubauen, damit die Kontrollen und Aufsichtspflichten strenger wahrgenommen werden. Und das ist auch gut so. Dadurch wird die umfassende Beschäftigung mit den Rechten und Pflichten des Aufsichtsrats befördert.
Der Aufsichtsrat ist hier gut beraten, wenn er sich im Vorfeld gut informiert über die D&O Versicherung, nicht erst, wenn es soweit ist. Vielen Aufsichtsräten ist nicht bewusst, was die D&O Versicherung auch im Positiven für sie bedeuten kann. Es gehört der Makler in die Aufsichtsratssitzung und sollte alle Fragen beantworten und sie auch auf die neuesten Entwicklungen aufmerksam machen. Jeder Aufsichtsrat, der dann überrascht ist von der Unterdeckung, der ist auch selber schuld.
Die Anzahl der Managerhaftungsfälle nimmt zu und auch die Summen, über die mit D&O Versicherern verhandelt wird, werden ständig höher. Sind Manager heute krimineller als früher?
Nein, ganz bestimmt nicht. Die Manager sind nicht mehr oder wenige kriminell, als sie es immer waren: Das ist einfach dem Markt geschuldet durch das Entstehen eines neuen Versicherungsproduktes und eines neuen wirtschaftlichen Umfeldes. Die Entwicklung wird einfach dadurch befördert, dass es überhaupt D&O Versicherungen gibt. Das ist ein vergleichsweise junges Produkt. Und natürlich steigen dann auch die Versicherungssummen. Es hängt unter anderem auch mit der Globalisierung zusammen, weswegen auch die Risiken und die Schadenssummen zunehmen. Vor allem aber liegt der Grund in einer geänderten Anspruchshaltung: In Auseinandersetzung um die Managerhaftung sind inzwischen von Anfang an verschiedene D&O Versicherungen beteiligt. Und natürlich: Wenn geklagt wird, dann wird auf Teufel komm raus alles geklagt.
Viele Haftungsansprüche zielen direkt auf die Kassen der D&O Versicherer. Selbst wenn rechtliche Grundlagen unsicher sind, werden Ansprüche kreiert und der schnelle Deal mit der D&O gesucht ohne Rücksicht auf die öffentliche Reputation der Betroffenen. Wie schätzen Sie das Missbrauchspotential ein?
Von Missbrauch ist mir nichts bekannt. Aber in bestimmten Phasen wird schnell verglichen. Und Sie haben sicher recht, dass da ein neues Geschäftsfeld entstanden ist.
Ganz sicher ist die Reputation das wesentliche Kapital eines Aufsichtsrats. Ich halte Reputation für genauso wichtig, wie die Gesundheit. Eventuelle Kosten für aktives Reputationsmanagement in der Krise sind daher hintenan zu stellen. Gute Litigation PR kann in einem Rechtsstreit wie etwa einer Managerhaftungsauseinandersetzung sehr viel helfen. Ein Aufsichtsrat mit einer schlechten Reputation bekommt eine ganze Reihe von Problemen – bis hin zu seiner schwindenden Glaubwürdigkeit.
Sie waren lange Zeit in Kommunikationsverantwortung bei mehreren Unternehmen und verfügen über einen guten Einblick. Wie verändert sich Unternehmenskommunkation? Wie verschiebt sich insbesondere das Verhältnis von Medienarbeit, also analoger Kommunikation, in Richtung digitalen Influencer Relations?
Wir sind schon mitten in diesem Wandel drin, und Medien wie Twitter kann man schon gar nicht mehr wegdenken. Den klassischen Dialog mit den Medien, mit investigativen Journalisten wird es immer geben, aber es wird sich die Gewichtung ändern.
Was durch Algorithmen erledigt werden kann, das wird man auch irgendwann durch Algorithmen lösen. Insofern stecken wir also schon mitten in einem umfassenden Wandel der Kommunikation – auch für Aufsichtsräte und Organe. Es ist nichts einfacher, als einen Computer damit zu programmieren, bestimmte Botschaften im Social-Media-Bereich zu verbreiten. Es ist sehr bald auch kein Mitarbeiter mehr nötig, der das operativ durchführt.
Das große Problem sehe ich darin, dass im Social Media Bereich die Masse gilt und nicht der Inhalt. Die Masse hat dort recht und nicht der qualitativ ausgewogene Content. Und das halte ich für ein großes Problem. Strategiekommunikation wird noch auf lange Sicht von Menschen gemacht werden. Aber um die Basisinformation zu verbreiten, die einen Ruf beschädigt, dazu brauche ich nur Masse. Diese Masse kann man inzwischen relativ rasch erreichen – und das kann auch eine Strategie sein.
Dr. Viktoria Kickinger ist seit mehr als 10 Jahren als Aufsichtsrätin für mehre Unternehmen und Organisationen tätig. 2012 gründete sie den Director’s Channel – Internet TV für Aufsichtsräte. Zuvor hatte sie mehrere Managementfunktionen inne, unter anderem bei der Österreichischen Bundesbahn und der Österreichischen Post.