Wenn Guardiola die Hose reißt – Potenzial und Grenzen von Roboterredakteuren in der PR
Interview mit Saim Alkan, CEO von Ax Semantics
Herr Alkan, Sie kennen den Markt des Roboter-Journalismus wie kaum ein anderer. Wann kann ein Interview wie dieses von einem Roboter geführt werden?
Wir stecken heute, was Kontextualisierung und Erkennung von Kontext anbelangt, immer noch in den Kinderschuhen. Chatbots sind heute in der Lage, intelligent auszuweichen. Sie geben dadurch dem Leser das Gefühl, er sei menschlich. De facto bringt er sie aber nicht an das Gesprächsziel. Ein gezieltes Gespräch ist nur dann möglich, wenn der Kontext sehr eng ist: Service, Anmeldung in der Autowerkstatt – das kriegen wir schon ganz gut hin. Aber ein Interview, in dem der Kontext nicht geklärt ist und das sich sehr offen bewegt, das wird noch ein paar Jahre dauern. Allerdings habe ich mir abgewöhnt, konkrete Jahreszahlen zu nennen. Wir befinden uns da auf einem riesigen Entwicklungsweg. Wenn wir in Zukunft in der Lage sind, den Kontext besser einzugrenzen, dann werden auch Bots in der Lage sein, ein sinnhaftes Interview zu führen.
Wenn wir den Bereich Roboterredakteure etwas näher betrachten: Was können Algorithmen heute schon und was erwartet uns noch?
Wir bieten eine SAAS-Plattform an, auf der jeder NLG (Natural Language Generation) machen kann. Wir nutzen eine Reihe von Machine-Learning-Technologien, wir nutzen dazu regelbasierte künstliche Intelligenz. Mit der Kombination dieser Technologien haben wir mittlerweile die sprachliche Wiedergabe von aktuell 16 Sprachen ermöglicht, 13 sind bereits mit Kunden im Einsatz. Perspektivisch werden es 42 Sprachen sein.
Es geht dabei nicht um Übersetzung. Textgenerierung bedeutet: Auf Grammatikregeln basierend, mit einem hinterlegten Wortschatz Texte zu generieren. Dazu ist es auch nötig, zahlreiche Inhalte und Kontextregeln vorzugeben. Nehmen sie beispielsweise die Produktkommunikation über einem Akku-Schrauber. Da geht es um Drehzahl, maximale Akku-Laufzeit, maximaler Durchmesser eines Bohrers, den sie in verschiedenen Materialien nutzen können und dergleichen mehr. Daraus formuliert dann die Maschine in verschiedenen Sprachen Texte. Das kann man heute schon für Produktbeschreibungen etwa im Packaging nutzen.
Wir werden die PR-Branche aber in den nächsten Wochen mit einem Experiment überraschen, das zeigt, dass wir auch in der Lage sind Pressemitteilungen über Produktinformationen zu schreiben. Viele Hersteller produzieren pro Jahr einige hundert solcher Pressemitteilungen. Jedes Jahr gibt es minimale Produktupdates. Diese Texte sind hochstandardisiert und ideal für Maschinen.
Das Schöne ist: Das geht auch personalisiert. Denken Sie an die Fachmedien für Zimmermänner, für das metallverarbeitende Handwerk und das Elektrohandwerk. Heute schickt man an alle drei Fachverteiler der genannten Mediengruppen einen Text. In Zukunft werden wir in der Lage sein, alle Texte auf die Frage hin zu optimieren, welche Produktfeatures für welches Medium relevant ist. Ich mache ihnen das für jedes Fachblatt in einer getrennten Version, bei der die Produktfeatures aus Sicht der jeweiligen Branche herausgearbeitet sind, also dass man etwa 8 mm Bohrtiefe in Metall schafft statt 20 mm in Holz. Im Endeffekt bekommt jeder Journalist eine individuelle Pressemitteilung – und fühlt sich individuell betreut.
Lebende Sprache ist mehr als das Zusammenstellen von vorgestanzten Textschnipseln und Produktfeatures. Da geht es um Sprachhandlungen, um Stil und Nuancen. Können Algorithmen das allen Ernstes leisten?
Da gibt es selbstverständlich noch Grenzen. Die Maschine kann nur so viel, wie der Redakteur in der Lage ist, der Maschine an Regeln und Kontext vorzugeben. Der Redakteur mit all seiner Kompetenz zur Nuancierung, zum Storytelling setzt sich an die Maschine und strukturiert das durch. Dabei geht es allerdings um viel mehr als Textbausteine. Die können Sie bereits heute schon mit Microsoft Word generieren. Unsere Algorithmen gehen bei weitem darüber hinaus.
Nehmen wir noch einmal das Beispiel des Akku-Schraubers. Im Vergleich zum Vorjahr wird ein 14 Volt Akku durch einen 18 Volt Akku ersetzt. Würde ich wie im Lückentext die Pressemitteilung vom Vorjahr einfach überschreiben und die höhere Volt-Zahl einfügen, dann können die Handwerker nicht wirklich viel mit dieser Information anfangen. Wenn ich die Maschine richtig trainiere, dann kann sie eben auch den Nutzen-Vorteil herausstellen, also dass der Akku-Schrauber jetzt 4.000 statt nur 3.000 Schrauben pro Tag verarbeiten kann.
Das geht über Lückentext weit hinaus. Unsere Technologie ist in der Lage, Probleme einzuschätzen und Vergleiche zu ziehen. Nehmen Sie beispielsweise die Einwechslung von Robert Lewandowski, der das letzte Spiel der Bayern gedreht hat, indem er in den letzten 10 Minuten eingewechselt wurde, und 5 Tore geschossen hat. Hier hätte unser Algorithmus durchaus folgenden Text produzieren können: „Sensationell! Das gab es noch nie. Lewandowski wird eingewechselt, macht 5 Tore in neuen Minuten und dreht damit das Spiel. Bayern holt sich drei Punkte.“ Solche Formulierungen haben nichts mehr mit Lückentext zu tun. Die Maschine kann historisch, eventuell sogar statistisch auswerten, ob es so etwas schon einmal gab. Und sie könnte dann eine entsprechende Formulierung selber wählen.
So etwas ist regelbasiert und sehr aufwändig – gerade im Fußball. Wir haben in unserem Fußballexperiment über 3000 Regeln hinterlegt. Das hat uns etwa 8 Wochen Arbeit gekostet. Das klingt zunächst nach viel, damit haben wir aber 5 Millionen Texte in einer Woche produziert. Das zeigt vielleicht das ungeheure Potenzial, dass in dieser Technik steckt.
Wer nutzt heute bereits diese Technologie?
Leider sind viele unserer Klienten sehr zurück haltend, was Öffentlichkeit anbelangt. Aber man sieht ja die Verlagshäuser, die in uns investiert haben. Die Nordwest-Zeitung arbeitet mit unserer Technologie, etwa in der Berichterstattung über Amateur-Fußball. Auch die Augsburger Allgemeine gehört zum Kreis unserer Investoren und verschiedene andere. Focus und Zeit sprechen mit uns. Der erste TV-Sender hat eine Lizenz abgeschlossen. Auch in der Schweiz und in Österreich haben wir Verlage als Kunden mit abgeschlossenen Lizenzverträgen. Sie alle wollen jetzt ihre Erfahrungen sammeln und testen, was das SEO-mäßig bewirkt.
Darüber hinaus sprechen wir mit Nachrichtendienstleistern. So haben wir hier in Süddeutschland etwa eine Redaktion, die 800 Amateur-Fußballspiele bearbeiten will. Für solche Anwendungen ist die Maschine ideal. Wir produzieren am Sonntag aus den angelieferten Daten 800 Fußballtexte – und das wird für diese regionale Tageszeitung einen wichtigen Wettbewerbsvorteil darstellen.
Wir sprechen etwa auch mit einem Verlag, der darüber nachdenkt, europäische Fußballberichte in Chinesisch auf den chinesischen Markt zu bringen. Mit einem anderen Verlag arbeiten wir zusammen, der das größte Fußballportal der Welt plant. Das Interesse ist groß und gerade Fußball ist ein Riesenthema. Sie müssen sich bewusst machen: Es gibt 24.000 Profifußballer. Darunter sind einige, deren Namen die meisten von uns noch nie gehört haben, die aber ein Suchvolumen von über 7000 Anfragen pro Woche generieren. Angesichts dessen kann Berichterstattung im Long-Tail für einen Verlag eine Riesenbedeutung gewinnen. Mit unserer Technologie können also Nischen erschlossen werden, die angesichts aktueller Personalkosten unmöglich bedient werden können. Sport ist da ein Rieseneinsatzfeld. Aber eins ist klar: Wenn Pep Guardiaola die Hose reißt, dann kann der Roboter das noch nicht schreiben.
Was wird in den nächsten Jahren an technologischer Entwicklung kommen. Was wird davon eine weitergehende digitale Transformation der PR vorantreibt?
Es wird in einigen Jahren so sein, dass diese Systeme so günstig und so einfach zu bedienen sind, dass man viele sehr unterschiedliche PR-Aufgaben damit lösen kann. In der Tat muss die PR aber noch einige Fragen für sich klären. Da ist zum einen das Thema der Authentizität: In wieweit nehmen die Zielgruppen Roboter-Texte überhaupt an, hinter denen keine realen Personen stehen. Denken Sie etwa auch an die Verbindung unserer Sprachgenerierungstechnologie mit der neuen Sprachsynthetisierung von Adobe: Damit kann man beispielsweise mit Ihrer Stimme beliebigen Text sprechen lassen, ohne dass Sie irgend etwas damit zu tun haben – übrigens auch mit allem Missbrauchspotenzial. Ein autonom agierender Sieber-Bot wird schnell in den Bereich des technisch möglichen kommen.
Welche Entwicklungen prägen den Wandel der Medienbranche?
Sicher kann die Unternehmenskommunikation auch einiges von den neuen Entwicklungen in den Medien lernen. Mit unseren Angeboten zur automatisierten Textgenerierung helfen wir vielen Medienunternehmen dabei, das zu überwinden, was wir den GAP nennen – also die Herausforderungen und Chancen, die durch Globalisierung, Agilisierung und Personalisierung des Medienmarkts entstehen
Die deutschen Top Nachrichtenangebote wie Spiegel, Focus, Welt oder Bild generieren monatlich knapp 20 Mio. Unique User. Im internationalen Vergleich sind diese Zahlen ernüchternd. Deutsche Nachrichtenangebote erreichen durchschnittlich gerade einmal 20 Prozent von dem, was Huffington Post, BBC, CNN oder der Guardian produzieren. Dabei kommen 35 bis 50 Prozent der Leser aus dem Ausland. Um in dieser Liga mitzuspielen, müssten deutsche Medienhäuser über ein vollredaktionelles Angebot in englisch, chinesisch und so weiter nachdenken. Das ist angesichts der Personalkosten nur mit NGL-Maschinen zu schaffen. Durch die Globalisierung des Angebots könnten sich die deutschen Medien allerdings international einen riesigen Markt erschließen.
Bei der Agilisierung geht es darum, redaktionelle Angebote möglichst schnell an das sich ständig ändernde Rezeptionsverhalten anzupassen. Leser und Nutzer rezipieren Medienangebote im Tages- und Wochenverlauf in unterschiedlichen Situationen, mit wechselnden Interessenlagen und auf unterschiedlichen Plattformen. Wir haben bereits über Nischensportarten gesprochen. Wer berichtet über die Rhönradmeisterschaft oder über Curling? Niemand, weil es zu aufwändig ist. Durch NLG kann ein Fachredakteur einmal die Regeln für 15 Sportarten eingeben. Die Maschine produziert dann bis zur nächsten Regeländerung tausende Texte einfach mit, ohne dass man viel dafür tun muss. Das produziert Reichweite, Clicks und positive SEO-Effekte. Die erforderliche Agilität bezieht sich natürlich auch auf die Veröffentlichung der Inhalte abseits der Nachrichtenseiten in Social Media, Newslettern oder bei WhatsApp. Es herrschen also plattformspezifische Anforderungen an Inhalte, welche sich zusätzlich im Tagesverlauf durch die jeweilige Rezeptionssituation verändern.
Personalisierung war bis vor kurzem mehr oder weniger ein Hirngespinst. Inzwischen ermöglichen Big Data und der technische Fortschritt eine sinnvolle Personalisierung – vor allem durch die Möglichkeit der Automatisierung. Stellen Sie sich eine Garten-App vor, in der sie ihren Garten in München erfassen: 200qm Garten mit einem japanischen Fächerahorn und so weiter. Ihr Geschäftspartner Jörg Hoewner sitzt in Düsseldorf und erfasst seinen Garten ebenso. Die Rheinische Post empfiehlt nun Herrn Hoewner je nach Wetterlage, dass er seine Hecke heute schneiden soll, während die Süddeutsche Ihnen empfiehlt, dass Sie mit dem Schneiden des Ahorns noch bis zum Wochenende warten. Wann gedüngt werden muss, wann die Fische aus dem Wasser müssen – all das könnte Ihnen personalisiert Ihre Tageszeitung sagen.
Dieser Wandel der Medien im Hinblick auf Globalisierung, Agilisierung und Personalisierung wird kommen – und der Unternehmenskommunikation wird nichts anderes übrig bleiben, als ihn mit zumachen. Auch wenn die Interessenlagen im Vergleich zu den globalen Medienhäusern verschieden sind – die Spielregeln sind ähnlich.