Vertrauen baut man nicht über Nacht auf – Reputation als Erfolgsfaktor für Rating-Agenturen
Interview mit Torsten Hinrichs, CEO der Scope Ratings AG
Herr Hinrichs, was ist die Zielsetzung der Scope Rating AG und was unterscheidet sie von anderen Rating Agenturen?
Wir wollen der europäischen Gegenentwurf zu den amerikanischen Rating-Agenturen sein. Wir wollen der europäische Player im globalen Oligopol werden, die europäische Stimme am Finanzmarkt. Innerhalb der Finanzkrise ist deutlich geworden, dass der gesamte Finanzmarkt durch eine angelsächsische Sicht auf Kreditrisiken bestimmt wird. Damit will ich nicht sagen, dass die angelsächsische Sicht per se verkehrt ist. Aber es ist eine sehr spezielle Sicht und sie ist geprägt von den Erfahrungen, die unsere amerikanischen Kollegen gemacht haben. Dabei zeigt sich ein starkes Ungleichgewicht. Wenn man sich die Verteilung der Wertschöpfungen weltweit anschaut und das vergleicht mit dem Anteil der Kreditbewertungen, die aus den USA kommen, so steht das nicht im Verhältnis. Das hat sich in der Finanzkrise sehr eindeutig dokumentiert – auch im Hinblick auf die Effekte und Abhängigkeiten, die sich daraus ergeben. Deswegen ist ja auch der Ruf nach einer europäischen Rating-Agenturen laut geworden.
Viele haben gesagt, eine europäische Rating-Agenturen wäre primär eine politische Fiktion. Wo liegt denn in Praxis der Vorteil für Ihre Kunden.
Die Forderung war damals sicher auch emotional oder politisch begründet. Auf eine politische Fiktion allein kann man aber kein Geschäftsmodell aufbauen. Wenn die Wirtschaft, also die Investoren und Emittenten nicht selbst sagen würden, dass man einen europäischen Gegenpol braucht, dann würde sich daraus kein Geschäftsmodell ergeben. Die Unternehmen haben den Bedarf aber erkannt. Sie sehen die Möglichkeit und Notwendigkeit, eine andere Perspektive auf das Thema Kreditrisiken zu bekommen. Der Unterschied ist relativ einfach: Es gibt zum einen den methodologischen Unterschied, also die Art und Weise, wir wir analysieren. Wir berücksichtigen die Unterschiede stärker, die es in Europa und in der Welt gibt. Kaum ein Bereich ist so vielfältig und divers organisiert wie die europäische Wirtschaft. In Spanien werden die Dinge anders gemacht als in Frankreich oder Deutschland. Wir in Europa kennen und respektieren Pluralität in einem ganz anderen Maße, als das im angelsächsischen Raum der Fall ist. Unsere Wirtschaftssubjekte verfolgen auch andere Zielsetzungen. Das Thema Shareholder Value wird im angelsächsischen Raum quasi als Doktrin gesehen. Das sehen wir in Europa etwas anders. Nachhaltigkeit und Langlebigkeit von Geschäftsmodellen werden bei uns ganz anders interpretiert und implementiert. Diese Andersartigkeit kann sich auch in der Kreditanalyse widerspiegeln.
Das führt aus unserer Sicht zu qualitativ besseren Ratings mit differenzierterem Research, der das Rating begründet – wobei mit besser selbstverständlich nicht höher sondern qualitätvoller gemeint ist. Das ist genau das, was Investoren an dem Research, den wir ihnen zur Verfügung stellen, mögen. Er ist differenzierter, die Herleitung ist informativer als der schematische Ansatz, den die amerikanischen Unternehmen bringen. Und genau das ist der USP, der Scope im Moment Flügel verleiht.
Durch die Finanzkrise haben Finanzdienstleister und gerade auch Ratingagenturen einen dramatischen Reputationsverlust erlebt. Hat sich das inzwischen verändert?
Der Reputationsverlust hat sich neutralisiert. Es schwingt natürlich noch mit und im Gespräch mit Geschäftspartnern wird immer mal wieder darüber gesprochen, dass die amerikanischen Agenturen an verschiedenen Stellen Fehler gemacht haben. Grundsätzlich wird die Arbeit der Agenturen aber anerkannt, was auch richtig ist. Die Fehler die gemacht worden sind, waren auch relativ begrenzt auf den Bereich Structured Finance in den USA.
Da wirkt sich auch die Dynamik der Mediengesellschaft aus. Credit Ratings sind im Grunde genommen uninteressant für die Medien. Sie sind nur dann spannend, wenn es negative Ausreißer etwa bei Länder-Ratings gibt, wenn europäische Staaten herab geratet werden oder wenn größere Ausfälle zu beobachten sind. Inzwischen werden längst andere Themen durch die Arena getrieben und das Interesse am Thema Ratings ist insgesamt wieder gesunken.
Vertrauen ist in der Finanzbranche ein wichtiger Faktor. Nun tritt ein verhältnismäßig neuer Player wie Scope gegen eine Gruppe sehr etablierter Player an. Man weiß, dass der Aufbau einer qualitativ hochwertigen Rating-Agentur mit enormen Investitionen und auch mit Menschen zusammen hängt. Was kann man tun, um das Vertrauen in eine Firma wie Scope zu stärken?
Vertrauen baut man nicht über Nacht auf. Das ist ein langwieriger Prozess, der sicherlich einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Man kann versuchen, diesen Prozess etwas abzukürzen, in dem man Mitarbeiter einstellt, die Vertrauen mit bringen und die das Vertrauen der Zielgruppe schon erworben haben. Dadurch begründet man auch einen Vertrauenstransfer. Deswegen haben wir auch sehr bewusst Mitarbeitern von unseren Wettbewerbern S&P, Moodys und Fitch zu uns geholt, die bekannt sind an den Märkten und die sich positiv profiliert haben.
Die Qualität des Managements ist einer der vier klassischen Reputationsfaktoren. Wie sieht es denn in den Feldern Qualität der Produkte, wirtschaftliche Stärke und Verantwortung aus – die in vielen Reputationsstudien immer wieder als zentrale Säulen der Unternehmensreputation genannt werden. Wie drehen sie an diesen Stellschrauben?
Wir haben damit begonnen, uns einen USP zu erarbeiten und den auch konsequent umzusetzen. Die europäische Sichtweise, Qualität und Kontinuität sind Teile dieses USPs. Um diese USP’s herum muss man kontinuierlich arbeiten – und kommunizieren. Sprunghaftigkeit und ständiger Wechsel, ob es jetzt im Personal oder in der Methodik ist, tragen gerade in unserem Geschäft nicht dazu bei, dass man Vertrauen aufbaut. Walk the talk: keine Ankündigungen, die dann nicht erfüllt werden. Was man dem Markt verspricht, muss man auch umsetzen. Wir werden uns nur über die inhaltliche Qualität und die Kontinuität einen Namen machen. Sie bauen keine Marktanteile und kein langfristiges Geschäftsmodell auf, indem sie Gefälligkeitsurteile abgeben oder Dumpingpreise verlangen. Das wären alles Strohfeuer. Das funktioniert an einem konservativen Markt wie dem Finanzmarkt nicht. Natürlich steht bei einem jungen und stark wachsenden Player immer der Verdacht im Raum, und der wird auch von den Wettbewerbern genährt. Darum ist es uns besonders wichtig, unsere Urteile sauber zu begründen und sauber herzuleiten und auch transparent zu machen, wie man arbeitet. Wenn man sich die durchschnittlichen Ratings von Scope anschaut, etwa im Finanz- oder im Bankenbereich, dann weichen sie nicht dramatisch von S&P, Moodys oder Fitch ab. Das was abweicht, ist die Herleitung und Begründung. Das ist aber genau unser analytischer USP. Die Ratings der großen DAX-Unternehmen, die wir in diesem Jahr veröffentlichen konnten, ob das Merck ist, Linde, BASF oder Lufthansa, weichen nicht mehr als einen Notch ab. Und zum Teil sind sie auch unterhalb der anderen Ratings.
Viele erfolgreiche Unternehmen wollen mit Partnern zusammen arbeiten, die selbst erfolgreich sind. Deswegen wird Erfolg auch als wichtiger Faktor in der Reputationstheorie genannt. Für junge Marktteilnehmer ist der Erfolgsdruck daher oft höher als für etablierte. Wie gehen Sie mit diesem Thema um?
Wir hatten in diesem Jahr ja beträchtlichen Erfolg mit unserer Strategie. Den haben wie auch ganz bewusst kommunikativ herausgestellt – insbesondere rund um unsere neu erworbenen Corporate Ratings. Linde war der erste DAX-Konzern, der uns erlaubt hat, das Rating zu publizieren. Darüber haben wir viel gesprochen und das wurde auch in den Medien stark aufgegriffen und positiv bewertet. Bei den nächsten DAX-Gewinnen haben wir schon deutlich weniger die Werbetrommel gerührt, weil wir seriös erscheinen wollten – und dabei darf man eben auch nicht ständig Feuerwerke abbrennen.
Es ist daher für die Reputation sehr wichtig, dass man auf Erfolge aufmerksam macht – aber eben nicht nur der Erfolge wegen. Es ist von uns von großer Bedeutung, wenn man im Markt sieht, dass große Unternehmen ihre Reputation im Markt mit der von Scope verknüpfen. Große Kunden sagen einer Rating-Agentur durchaus: „Ihre Reputation ist unsere Reputation also versaut uns die bitte nicht.“ In diesem Fall dürfen wir explizit die guten Erfahrungen, die Kunden mit uns machen, in Gesprächen mit anderen Kunden anführen. Und das nutzen wir selbstverständlich auch, um für uns zu werben.
Das vierte große Thema im Reputationsquartett heißt Verantwortung. Inwiefern kann das für einen Finanzdienstleister beim Reputationsmanagement eine Rolle spielen?
Im Gegensatz zu den großen Agenturen ist die Verantwortung von Scope im Finanzmarkt wesentlich geringer. Wenn Scope ein Rating verändert, verändert das nicht die Welt. Das ist bei S&P, Fitch oder Moodys schon anders. Unsere Verantwortung für den gesamten Finanzmarkt ist deutlich geringer. Es wäre daher auch wenig glaubwürdig, wenn wir so an das Thema Verantwortung heran gehen würden.
Wofür wir selbstverständlich Verantwortung tragen ist, dass der Inhalt unseres Researches zutreffend und so unabhängig ist, dass man den Inhalten auch vertrauen kann. Die Verantwortung gegenüber den Kunden spielt eine große Rolle für uns.
Was tun Sie denn, um sich vor Reputationsrisiken zu schützen? Ich denke da etwa an Krisenprävention.
Gerade in der Aufbau-Phase ist der Schutz vor Reputationsrisiken für uns dramatisch wichtig. Man baut Reputation über lange Zeiträume auf. Aber man kann sie auch sehr schnell wieder verspielen. Wir haben daher von Anfang an wert darauf gelegt. Und wir sind immer noch damit beschäftigt, unsere Prozesse so zu gestalten, dass uns keine Fehler unterlaufen – weder analytischer noch kommunikativer Natur. Wir sind sehr darauf bedacht, dass wir von Anfang an unsere Prozesse so im Griff haben, dass Fehler vermieden und dass Risiken rechtzeitig identifiziert werden. Wir haben ein internes Risiko-Kommittee, was regelmäßig darüber nachdenkt, wo potentielle Risiken aufkommen können – ob das Reputationsrisiken oder prozessuale Risiken sind, ob das Rechtsrisiken oder Personalrisiken sind. Alle diese Dinge werden durch dekliniert und da gehen wir in der Form auch über das hinaus, was die Regulierung fordert
Vor externen Risiken ist man natürlich kaum gefeit. Wenn wir den gesamten Finanzmarkt betrachten, ist es vor allem die Entwicklung in Italien, die uns Sorgen macht. Sie könnte potentiell zu einer neuen Bankenkrise führen. Und sie kann auch die Bankenregulierung, die sich mittlerweile in Europa etabliert hat, ad absurdum führen. Wenn der italienische Staat jetzt beispielsweise Monte di Pasqui verstaatlicht, weil es anders nicht möglich ist, diese Bank zu retten, dann stellt sich für den Normalbürger schon die Frage, wozu wir die gesamte Regulierung eigentlich gemacht haben, denken Sie nur an das Bail-In, wenn sie dann doch nicht umgesetzt wird. Hier könnte der ganzen Finanzbranche und auch dem europäischen Regulierer wieder eine erhebliche Reputationskrise drohen.