GERNE WIE DIE GERLINGERS
Von Rainer Ohler
Der Unternehmer Hermann Gerlinger stellt sein ganzes Leben lang eine der schönsten Sammlungen des Deutschen Expressionismus zusammen – und lässt die ganze Pracht mit 92 Jahren ziehen um das Geld sozialen Zwecken zu spenden. Ein Lehrstück über selbstbestimmten Umgang mit Schönheit, Verantwortung und der Zeit, die uns gegeben ist. Unser #Mutmacher des Monats.
Wer – wie ich – gerne bei Youtube stöbert, stolpert immer wieder über sensationelle Sachen. Anfang November wurde dort ein Interview von Günther Jauch mit Professor Hermann Gerlinger hochgeladen – und direkt im Anschluss fand ich einen Podcast von Ketterer Kunst über die Sammlung „Die Maler der Brücke“ und Hermann Gerlinger . Als ich durch beide Angebote durch war, stand fest: Mein #Mutmacher des Monats ist Professor Hermann Gerlinger.
Was ihn auszeichnet sind Freiheit und Selbstbestimmung, unglaubliche Entscheidungskraft im hohen Alter, Konsequenz und große soziale Verantwortung. Könnte er damit zum Vorbild werden für andere Sammler von Kunst, Antiquitäten, Oldtimern u.v.a.?
Der Ingenieur und Unternehmer Hermann Gerlinger ist 91 Jahre alt. Er ist wohl Deutschlands bedeutendster Privatsammler von Kunst der Künstlergruppe „Die Brücke“. Er hat in 70 Jahren mehr als 1.000 Kunstwerke und Sammlerstücke zusammengetragen – alles rund um Deutschlands wichtigste expressionistische Künstlergruppe, die 1905 in Dresden gegründet und schon 1913 in Berlin wieder aufgelöst worden war. Gerlinger ist Co-Autor eines der wichtigsten Publikationen zur Brücke geworden, nämlich des Katalogs „Die Maler der Brücke“ mit dem bekannten Kunsthistoriker Professor Heinz Spielmann.
Hermann Gerlinger hatte in den letzten Jahren erkannt, dass sein Herzenswunsch, die gesamte Sammlung in ein Museum zu geben, sich nicht erfüllen lässt. Gerlinger wollte, dass die Sammlung auf Dauer präsentiert wird und die Museen auch intensiv weiter forschen über Arbeit, Wirkung und den Zusammenhalt der Künstlergruppe. 30 Jahre wurde seine Sammlung zuerst in Schleswig-Holstein (Museum Schloss Gottorf), dann in Sachsen-Anhalt (Moritzburg) und zuletzt in Bayern (Buchheim Museum) gezeigt. Nirgends fand er seine Ziele und Ansprüche verwirklicht.
Im Podcast wird ausführlich erörtert, dass Sammlerwünsche wie die von Professor Gerlinger weder selten noch außergewöhnlich, aber für Museen in Deutschland schon aufgrund ihrer Verfasstheit kaum zu erfüllen seien. Hermann Gerlinger wusste, welches Schicksal seine Sammlung bei kompletter Überlassung an ein Museum erleiden würde. Sie würde als Teil des Fundus gelten, etliche Teile würden die meiste Zeit im Depot verbringen. Die Depots der Museen in Deutschland sind schon heute rappelvoll.
In dieser Situation hat sich Hermann Gerlinger nicht dem Schicksal gefügt. Er hat auf das Scheitern seines Lebenstraums mit Konsequenz reagiert. Die gesamte Sammlung wird verkauft werden per Auktion und der Erlös drei Wohltätigkeitsorganisationen (Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bund Naturschutz und der Stiftung des Juliusspitals in Würzburg) zur Verfügung gestellt.
In der Kunstwelt löste diese Nachricht einen Schock aus. Denn natürlich wirft die Entscheidung das Scheinwerferlicht auch auf deutsche Museen, denen es nicht gelungen war, den Sammler Gerlinger dauerhaft an sich zu binden, indem man ein für ihn attraktives Angebot gemacht hat.
Gerlinger macht von seinem Eigentums- und seinem Gestaltungsrecht vollen Gebrauch. Er gibt neuen Sammlern eine Chance und einen Millionenerlös an einen guten Zweck.
Dass er sich vom Ertrag nicht ein eigenes Denkmal setzt, sondern die Arbeit von drei gemeinnützigen Organisationen fördert, setzt ein Ausrufezeichen. Ob er damit ein Vorbild wird für andere Sammler, bleibt abzuwarten. Ein großes Vorbild ist Hermann Gerlinger damit aber auf jeden Fall – ein echter #Mutmacher.