ZUCKERBROT UND PEITSCHE
MEDIENRECHT UND LITIGATION PR ALS DREAMTEAM
Interview mit Dr. Marcel Leeser, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Höcker Rechtsanwälte
Immer mehr Manager und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens werden in Rechtsstreitigkeiten hineingezogen – ich nenne nur die Beispiele Kachelmann oder den ehemaligen Porsche-Chef Wiedeking, die beide erst nach jahrelangen Prozessschlachten Ihr Recht bekamen. Vorverurteilung und öffentliche Anprangerung können in einem solchen Fall zu einer realen Bedrohung werden. Woher kommt diese wachsende Tendenz zur Skandalisierung?
Manager, die viel Geld verdienen, sind in der Bevölkerung oft nicht besonders hoch angesehen. Es gibt eine unglaubliche Faszination für den Leser oder Zuschauer, eine möglichst große Fallhöhe mitzuerleben. Der Fall Beckenbauer zeigt das sehr deutlich. 2006 war er Deutschlands Held, eine Lichtgestalt mit einer großen Leistung für unser Land. Im Moment erleben wir seine Demontage. Das bringt hohe Verkaufs- und Klickzahlen. Je prominenter die Person ist, desto größer ist das Excitement, ihn von seinem Roß fallen zu sehen.
Unsere Aufgabe ist es, die rücksichtlose Bedienung solcher Auswüchse durch die Medien zu bekämpfen und in ihrer Entwicklung zu begrenzen. Solange ein Verfahren wegen eines Verdachts läuft oder wenn es gar eingestellt wurde, gilt die Unschuldsvermutung. Ein reiner Verdacht, ein Vergleich in einem Zivilverfahren oder ein Deal in einem strafrechtlichen Verfahren dürfen nicht zu einer Vor- oder Nachverurteilung führen. Journalisten und die Öffentlichkeit verkennen dies manchmal. So werden z.B. zivilrechtliche Vergleiche verfälschend als Schuldeingeständnis dargestellt.
Wie können wir mit Instrumenten des Presserechts rufschädigende Veröffentlichungen verhindern?
Der beste Weg zur Vermeidung einer Rufschädigung besteht darin, zu verhindern, dass ein rufschädigender Bericht überhaupt erst erscheint. Im Nachhinein mit rechtlichen Mitteln die Scherben zu sammeln, ist für den Ruf des Betroffenen zwar unbedingt notwendig, aber weniger effektiv als die präventive juristische Arbeit. Die Voraussetzung ist, dass der Betroffene, sobald er von der Gefahr eines negativen Berichtes erfährt, schnellstmöglich presseanwaltliche Hilfe in Anspruch nimmt. Etwa dann, wenn der Betroffene vor einer Verdachtsberichterstattung von dem Journalisten um eine Stellungnahme gebeten wird, können Presseanwälte in der Regel noch einiges erreichen.
Wir fordern dann üblicherweise, dass Fragen schriftlich gestellt werden und ausreichend Zeit zur Beantwortung zur Verfügung gestellt wird – das kann bis zu einer Woche sein. Diese Zeitverzögerung ist im Nachrichtenjournalismus eine Ewigkeit und kann allein schon ausreichen, um einen Mandanten aus dem Feuer zu nehmen. Die Art und Formulierungsweise der Fragen geben uns wichtige Hinweise, wie sich der Mandant taktisch aufstellen sollte: Sind bereits unwahre Tatsachen behauptet oder zwischen den Zeilen zu lesen? Steht die Geschichte des Journalisten schon? Gibt es nur einen Verdacht? Stochert der Journalist im Dunkeln? Hat er eventuell noch gar nichts und will nur eine Vermutung bestätigt haben, für die er selbst gar keine Beweise recherchiert hat? Ist seine Quelle unzuverlässig oder unglaubwürdig? Berichtet der Journalist über das Unternehmen oder will er auch Namen von Personen nennen?
Bei drohender Verdachtsberichterstattung weisen wir den Journalisten darauf hin, dass er den Betroffenen mit einem konkreten Vorwurf konfrontieren muss (Wann soll er was getan haben und worin liegt genau der strafrechtliche oder moralische Vorwurf?). Dazu muss der Journalist auch in einem gewissen Maß mitteilen, welche konkreten Informationen und Beweisgrundlagen er zu seinem Verdacht überhaupt recherchiert hat. Denn wenn seine Fragen nur pauschal und ohne konkrete Konfrontation gestellt werden (Bsp.: „Viele Ihrer Kunden haben uns mitgeteilt, dass sie von Ihrem Unternehmen getäuscht wurden? Was sagen Sie dazu?“), ist es dem Betroffenen doch gar nicht möglich, sich zu verteidigen. Solchen Fragen weisen wir als unzureichend zurück und erläutern dem Journalisten, dass eine Berichterstattung auf dieser Basis rechtlich angreifbar wäre.
Wir weisen die Redaktion auch darauf hin, welche Rechtsfolgen eine Falschberichterstattung, unzulässige Verdachtsberichterstattung etc. haben kann. Man signalisiert dadurch, dass sich der Mandant im Zweifelsfall wehren wird.
In den meisten Fällen gelingt es dem Betroffenen mit uns auf diese Weise, in eine aktive Position zu kommen, durch die wir die Berichterstattung entweder verhindern oder jedenfalls positiver gestalten können. Die unmittelbare Wirkung ist eine rechtliche Sensibilisierung des Journalisten. Er wird i.d.R. an die Rechtsabteilung seines Medienhauses herantreten, um abzuklären, was er in dem Fall konkret schreiben, senden bzw. veröffentlichen darf.
Erreicht man keine Nichtberichterstattung, dann kann auch eine Anonymisierung des Mandanten ein Erfolg sein, weil er dadurch jedenfalls namentlich oder sonstwie erkennbar aus dem Bericht herausgehalten wird. Ist der Journalist auch hierzu nicht verpflichtet, dann muss er jedenfalls die von uns gegebenen entlastenden Informationen in seinen Bericht aufnehmen und diesen ausgewogen gestalten.
Litigation PR Profis verstehen sich als Partner der Medien und Ihre Arbeit als langfristiges Dialogangebot. Wie sehen Sie die Rolle des Medienrechtlers?
Auch wir verstehen unsere Arbeit als ein Angebot an den Journalisten. Allerdings agieren wir eher wie ein eingewechselter Abwehrspieler, der dem Journalisten kurz vor dem Torschuss mit einer gekonnten Grätsche und ohne Foulspiel (!) noch den Ball wegnimmt. Der Journalist bekommt aber auch etwas von uns: Immerhin erfährt er von uns den rechtlichen Rahmen, in dem er sich bewegen kann. Wenn er sich daran hält, bekommt er ein verlässliches Statement und damit die Sicherheit, von uns nicht angegriffen zu werden. Wir sehen das als ein faires Miteinander.
Medienrechtler und Litigation PR Profis verfolgen durchaus komplementäre Interessen und können ein Dreamteam in einer Krisensituation sein, denn der eine kann etwas, was der andere nicht kann. Die Stärke der Kommunikatoren besteht darin, dass sie die Denkweisen und Abläufe in einer Redaktion kennen. Sie haben eine viel größere Kompetenz im Entwurf und in der Vermittlung eines positiven Images und sie haben sicher auch die größere sprachliche Kompetenz. Journalisten und Leser sind in der Regel keine Juristen. Sie erwarten und verstehen eine klare, einfache Sprache ohne die juristische Präzision und Detailverliebtheit. Die Arbeit der PR Profis ist also für Unternehmen und Manager absolut unverzichtbar. In einer Krisensituation für das Unternehmen oder den einzelnen Manager mit drohender negativer Presseberichterstattung ist aber nicht nur Kommunikationskompetenz gefragt, sondern gerade auch juristischer Biss – eben Zuckerbrot und Peitsche.
Welche Ansprüche hat ein Betroffener, um gegen einen Bericht vorzugehen?
Ist eine Berichterstattung unzulässig, und dafür kann es mehrere Gründe geben, so stehen dem Betroffenen insbesondere die folgenden Ansprüche zur Verfügung:
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Der Anspruch auf Unterlassung ist in die Zukunft gerichtet und bedeutet, dass das Medium die Äußerung nicht wiederholen darf. Dies führt zwangsläufig zur Löschung des Berichts von der Website des Mediums. Der Unterlassungsanspruch ist der von uns am häufigsten durchgesetzte Anspruch. Er ist schnell und einseitig – dafür nur vorläufig – mit dem Instrument der einstweiligen Verfügung durchsetzbar.
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Der Anspruch auf Widerruf / Richtigstellung bewirkt, dass das Medium selbst einen Fehler einräumen und eine Behauptung als falsch revidieren muss. Das kann im Einzelfall etwas Demütigendes für das Medium mit sich bringen, weswegen wir diesen Anspruch eher selten geltend machen. Der Anspruch ist nur mit einer Klage gerichtlich durchsetzbar. Als Verhandlungsmasse taugt der Anspruch selbstredend sehr gut.
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Der Anspruch auf Geldentschädigung besteht bei einer schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts und wird mit der Klage durchgesetzt. Ein sehr wichtiger Anspruch. Wir haben für Herrn Kachelmann gegen den Axel Springer-Verlag die bisher höchste Geldentschädigungssumme einschließlich Zinsen in Deutschland erstritten. Springer will sich weiterhin hiergegen wehren.
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Hinzu tritt der Schadenersatzanspruch, etwa im Hinblick auf die Rechtsanwaltskosten und auf entgangene Gewinne, soweit diese selbst und die Ursächlichkeit des unzulässigen Berichts hierfür nachweisbar sind.
Die meisten Kommunikatoren kennen das Instrument der Gegendarstellung – und schätzen es nicht sehr. Wie stehen Sie dazu und wann sind Gegendarstellungen sinnvoll?
Der Gegendarstellungsanspruch ist nur möglich, wenn es um Tatsachenbehauptungen geht. In dem Fall kann ich als Betroffener ohne Nachweis, dass die Behauptung der Presse unwahr ist, eine Gegendarstellung durchsetzen, falls erforderlich mit gerichtlicher Hilfe (einstweilige Verfügung). Sie muss juristisch korrekt formuliert wie handschriftlich von dem Betroffenen unterschrieben sein und binnen kurzer Frist dem Verlag zugehen. Man kann so durchsetzen, dass die eigene Perspektive mitgeteilt wird. Das ist in vielen Fällen, wie Sie sagen, aber gar nicht sinnvoll. Oft überwiegen sogar die Nachteile:
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der Ursprungsbericht wird wieder erwähnt;
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die Gegendarstellung kann durch einen „Redaktionsschwanz“ ergänzt und relativiert werden;
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im Gegensatz zu einer Richtigstellung ist es erkennbar keine eigene Äußerung des Mediums;
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der Umfang ist gering; die Gegendarstellung beschränkt sich grundsätzlich auf die bloße Verneinung der angegriffenen Behauptung;
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es gibt sehr straffe Fristen (je nach LPresseG von Bundesland zu Bundesland verschieden) und strenge Formvorschriften;
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gerichtlich durchsetzbar ist die Gegendarstellung ausschließlich am Sitz des Mediums.
Manchmal muss man eine Gegendarstellung erwirken. Auch als Verhandlungsmasse setzen wir diesen Anspruch ein. Aber wir bevorzugen in der Regel andere medienrechtliche Instrumente.
In der letzten Zeit häufen sich Fälle, in denen Informationen, etwa Klageschriften, Gutachten oder Ermittlungsakten an die Medien durchgestochen werden – etwa seitens der Staatsanwaltschaft. Wie stehen Sie dazu und welche Möglichkeiten hat man?
Das nimmt leider immer mehr zu und ist sehr bedauerlich. Ein heimliches Durchstechen ist rechtswidrig, im Einzelfall gar eine Straftat (z.B. §§ 353 d Nr. 3, 355 StGB), aber so gut wie nie nachweisbar.
Erscheint während eines laufenden Ermittlungsverfahrens ein Bericht, in dem aus Ermittlungsakten zitiert wird, kann der Betroffene dagegen vorgehen. So war es etwa im Fall Kachelmann. Bereits ganz zu Beginn der Untersuchungshaft zitierten Focus und Bild aus der Ermittlungsakte, und zwar einseitig nur die Aussage der – wie wir jetzt alle wissen – Falschbeschuldigerin. Das war die größtmögliche Intensität einer rechtswidrigen Vorverurteilung – wenn nur die Version einer Partei veröffentlicht wird und dazu noch aus Unterlagen, die eigentlich nur der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehen dürfen.
Man kann dann erfolgreich gegen den Pressebericht vorgehen, nämlich wegen Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung und die vom BGH aufgestellten Grundsätze der Verdachtsberichterstattung.
Eine Chance haben wir auch dann, wenn die Wege öffentlich sind. Staatsanwaltschaften machen ja immer häufiger im Rahmen ihrer Informationspflicht Pressekonferenzen oder geben Pressemitteilungen heraus – haben dabei aber zum Teil keine Ahnung vom Presse- und Äußerungsrecht. Oft schießen sie über das Ziel hinaus, indem sie etwa die Namen eines Betroffenen widerrechtlich nennen. Dadurch verleiten sie Journalisten geradezu, rechtsverletzende Berichte zu schreiben, weil diese sich wiederum auf eine offizielle, privilegierte Quelle berufen. Dabei verkennt der Journalist oft, dass er die Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen selber vornehmen muss, auch wenn der Staatsanwalt hierbei zuvor versagt hat.
Wenn also ein Staatsanwalt durch seine unzulässige Pressemitteilung eine rechtswidrige Gefahrenquelle geschaffen hat, kann man diese Quelle direkt angreifen, indem man die Staatsanwaltschaft abmahnt und – falls notwendig – das Land auf Unterlassung verklagt.
Wie verändern sich die medienrechtlichen Möglichkeiten angesichts von Informationen, die durch die sozialen Medien verbreitet werden?
Rechtlich gesehen bewegt sich das im selben Rahmen. Setze ich Unterlassungsansprüche erfolgreich durch, dann müssen die Dinge aus dem Internet gelöscht werden. Wenn die rechtswidrigen Quellen gelöscht sind, dann wird auch die Google-Auffindbarkeit nach kurzer Zeit verschwinden. Die Aussage: „Das Internet vergisst nichts“, ist also definitiv falsch. Auch das Internet kann zum Vergessen gezwungen werden. Das gilt insbesondere für die sozialen Medien. Meines Erachtens ist der größte Unterschied, dass sie es in sozialen Medien nicht mit Journalisten zu tun haben, sondern ganz häufig mit sich äußernden Privatpersonen. Die machen das sehr oft auch anonym. In dem Fall wenden wir uns an den Portalbetreiber mit einer ausführlich begründeten Aufforderung zur Löschung, setzen eine angemessene Frist und können diesen dann bei Nichtlöschung wegen Verletzung seiner Prüfpflichten abmahnen. Dem zugrunde liegt die sog. Störerhaftung, die der BGH in zahlreichen Entscheidungen bestätigt hat. Ein Anspruch auf Auskunft gegen den Portalbetreiber hinsichtlich der Nutzerdaten des Rechtsverletzers besteht indes nicht. Dieser ist aber oft aus dem Kontext der Äußerung erkennbar und kann dann unmittelbar kontaktiert werden.
Dr. Marcel Leeser ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz. Er berät vor allem im Presserecht sowie im Marken- und Wettbewerbsrecht. Seit 2016 ist er Partner der auf Marken- und Medienrecht spezialisierten Kanzlei HÖCKER Rechtsanwälte PartG in Köln.